Comedy Pointen im Säurebad
Mit ihrer neuen "Ladykracher"-Staffel präsentiert sich Anke Engelke wieder als einsame Virtuosin unter Witzfiguren. Warum haben es deutsche Komödiantinnen so schwer? Und warum lernen sie nicht endlich von ihren US-Kolleginnen?
Sadisten können sich dieser Tage an einem besonders fiesen Gedankenspiel ergötzen: Was wäre geschehen, wenn Marcel Reich-Ranicki nicht die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises, sondern die des Deutschen Comedypreises hätte miterleben müssen? Da hätte er gesessen, der große Literaturkritiker, und seinen Ohren nicht getraut: Deutschland eine Witzkloake, durchmieft von Mario Barths Flatulenz- und Pornoscherzen.
Als Höhepunkt des Abends hätte Barth schließlich seinen Witz über weibliche Humorlosigkeit gemacht: "Warum gibt es so wenige Frauen in der Comedy? Weil sie 14 Jahre brauchen, um ein Bühnenkleid auszusuchen." Dann wäre Reich-Ranicki vor Entsetzen vom Stuhl gerutscht, und alle anderen hätten verlegen gegrinst und zu Anke Engelke hinübergeschaut.
Das Schlimmste aber ist: Barth hat recht mit seiner Frage, wenn auch nicht mit seiner Antwort. Es gibt nur wenige Frauen in der deutschen Comedy, und die allermeisten sind noch wesentlich unkomischer als Barth selbst.
Die große Ausnahme ist, natürlich, Anke Engelke. Am Freitag dieser Woche startet auf Sat.1 die lang erwartete neue Staffel von "Ladykracher", ihrer gefeierten Sketchshow. Von Engelke erhofft sich die Branche die Ehrenrettung ihres Berufsstands, dessen zotengespickte Derbheit gegenwärtig mehr mit Proktologie zu tun hat als mit Humor.
Aber allein kann Engelke die Sache nicht reißen - auch nicht die der Frauen. Wie verheerend es um den weiblichen Fernsehhumor in Deutschland bestellt ist, zeigt vor allem der Vergleich mit den USA, wo TV-Komikerinnen wie Tina Fey gerade einen ganz großen Lauf haben. Sie bringen die Nation nicht nur zum Lachen; nein, sie setzen politische Themen, sie dominieren das Gespräch, sie haben sogar ein Stück weit die amerikanische Präsidentschaftswahl mitbestimmt. Kurz: Sie werden ernst genommen.
Wäre es in Deutschland vorstellbar, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in "Ladykracher" mitspielt? Wohl kaum. Aber in den USA musste die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin aus Imagegründen kurz vor der Wahl in der Satireshow "Saturday Night Live" antreten, in der Tina Fey sie seit Wochen höchst erfolgreich - und täuschend ähnlich - parodiert hatte. Im Wettstreit der echten und der falschen Palin ging der Sieg klar an Fey.
Die Amerikanerinnen wirken im Vergleich zu ihren deutschen Kolleginnen nicht nur frecher, aktueller, politischer und selbstbewusster, sondern einfach - erwachsener. Sie mischen sich souverän ein in das, was ihre Gesellschaft bewegt, sie rühren an wunde Punkte und thematisieren verdrängte Konflikte, und sie haben dabei keine Angst, auch mal eine "bitch" zu sein, wie Fey neulich sagte.
Zu "bitch" werden im Wörterbuch Begriffe wie Hexe oder Zicke als Übersetzung angeboten. Aber das trifft es nicht. Das Wort für unbotmäßige Frauen hat einen Bedeutungswandel durchgemacht, er ist vom Schmähwort zum Kampfbegriff geworden, bezeichnet heute Qualitäten wie Selbstbewusstsein, Eigensinn und vor allem Unabhängigkeit von männlichen Zuschreibungen. Das feministische Luder, die von Konventionen befreite Frau.
Für amerikanische Fernsehkomikerinnen wie Fey, 38, oder ihre Kolleginnen Amy Poehler, 37, und Sarah Silverman, 37, ist "bitch" ein Stilbegriff, mit dem sich überkommene Machtstrukturen aufsprengen lassen. Und er hat ihnen Erfolg gebracht. Die Comediennes schreiben, produzieren, inszenieren und spielen ihre Sketche oder Sitcoms selbst, sie sind Coverstars von Hochglanzmagazinen und Dauergäste in den großen Talkshows.
Geradezu zum Superstar aufgestiegen ist Fey, ehemalige Chefautorin der seit Jahrzehnten in den USA gefeierten Sendung "Saturday Night Live", außerdem Erfinderin und Hauptfigur der erfolgreichen Sitcom "30 Rock" und jetzt auch noch Hauptdarstellerin ihres ersten Kinofilms "Baby Mama" (Deutschlandstart am 20. November). Und auch wenn Fey stöhnt, dass Sarah Palin eine Rolle sei, die sie "nach dem 4. November nicht mehr spielen wolle" - ihrer Karriere hat sie ungeheuer gutgetan.
Von so viel Einfluss können deutsche Fernsehkomikerinnen nur träumen. Sie liegen immer noch im Dornröschenschlaf des politisch korrekten Ulknudel-Humors, der seit den siebziger Jahren das deutsche Comedy-Geschäft bestimmt. Wer sie aus diesem Dämmer erlösen soll, ist bislang unklar, die hiesigen Programmverantwortlichen können es jedenfalls nicht sein.
Auf Sat.1 werkeln sich in der Sketchshow "Sechserpack" Shirin Soraya, 32, und Emily Wood, 30, tapfer durch den ewig gleichen Mix aus Beziehungs-, Sex- und Romantikgags. Wer glaubt, die bekloppte Friseuse oder der schamhafte Pornostar hätten humoristisch ausgedient, wird hier eines Besseren belehrt.
Wie gut, dass wenigstens die ARD über eine "bitch" verfügt, auch wenn sie Oliver Pocher heißt. Der hat zwar wenig mit Politik am Hut, dafür kann seine Parodie von Britney Spears, dem prominentesten Opfer des globalen Popzirkus, als Höhepunkt hiesiger Geschlechterkritik gelten. Bei der "Echo"-Verleihung im Februar turnte der Komiker mit Perücke und knappsitzendem Showdress über die Bühne und verballhornte so Weiblichkeitsbilder, die Schaulust des Publikums und den eigenen Starruhm gleich mit.
In einem Land, wo selbst Angela-Merkel-Parodien von Männern, namentlich Mathias Richling, besorgt werden, muss einen das nicht wundern. Nach wie vor gilt die Regel: Ein Mann in Frauenkleidern ist komisch, eine Frau in Männerkleidern lesbisch.
Hella von Sinnen, 49, hat auf diesem Klischee eine ganze Karriere aufgebaut: Gemeinsam mit Hugo Egon Balder stampfte sie Ende der Achtziger eine Comedy-Kultur fürs deutsche Fernsehen aus dem Boden. Seitdem spielt sie unermüdlich die Wuchtbrumme mit großer Klappe. Was anderes bleibt ihr kaum, denn daneben ist nur noch das dauergrienende Sexbienchen im Angebot.
Natürlich wurde auch Sinnens Talent, wie das ihrer Kolleginnen Cordula Stratmann, 45, und Gaby Köster, 46, in zahllosen Panelshows verramscht. Die Panelshow ist die vollständige Kapitulation vor der eigenen Ideenlosigkeit: RTL ("7 Tage, 7 Köpfe") und Sat.1 ("Genial daneben") schaufeln bekannte und weniger bekannte Darsteller in eine Sendung und lassen sie wahllos zu irgendwelchen Themen witzeln. Das kostet deutlich weniger als eine Sitcom und bedient außerdem die vielbeschworene Lust des Zuschauers auf Authentizität.
- 1. Teil: Pointen im Säurebad
- 2. Teil: Klamauk und Scharfsinn passen durchaus zusammen