Kino Sex mit Bomben
Die Regisseurin Kathryn Bigelow erzählt in ihrem Film "The Hurt Locker" von Bombenentschärfern im Irak. Nie zuvor hat sich Hollywood so packend mit dem Krieg im Nahen Osten beschäftigt.
Auf dem Tisch liegt der leblose Körper eines Jungen. Aus seinem Bauch, der aufgeschnitten wurde, ragen Drähte heraus. Sergeant James, Bombenentschärfer der US-Truppen im Irak, weiß: Sie führen zu einem Sprengsatz. Der Junge wurde ermordet, um als Hülle für eine "body bomb" zu dienen, eine menschliche Bombe.
Vorsichtig legt Sergeant James Sprengstoff auf den Körper des Jungen. Durch eine Detonation will er die Bombe im Bauch unschädlich machen. Dann hält er inne und legt den Sprengstoff wieder beiseite. Sergeant James durchtrennt die Drähte, greift durch die Bauchdecke hinein in den Körper des Jungen, bis er den Sprengsatz ertastet und ihn aus dem Bauch des Jungen holt, obwohl die militärische Ratio etwas anderes vorschreibt. Es ist ein blutiger Akt der Pietät.
Sergeant William James ist die Hauptfigur in Kathryn Bigelows neuem Film "Tödliches Kommando - The Hurt Locker", der in dieser Woche in die deutschen Kinos kommt und von der US-Presse schon jetzt als Oscar-Kandidat gehandelt wird. Die 57jährige Regisseurin beschreibt darin eine Welt, in der unter jedem Müllhaufen und in jedem Kofferraum eine Bombe lauern kann. Oder im Körper eines toten Jungen.
Die Furcht vor der allgegenwärtigen Gefahr überträgt sich auf das Publikum und macht "The Hurt Locker" damit zum wohl eindringlichsten Film, den Hollywood bislang über den Irak-Krieg produziert hat. Selten zuvor gelang es einer Regisseurin, den Zuschauern nach wenigen Minuten das Gefühl zu vermitteln, im wohligen Kinosessel schon in der nächsten Sekunde in die Luft fliegen zu können.
"The Hurt Locker" ist der vorläufige Höhepunkt einer beeindruckenden Vielzahl von Filmen über den von der Bush-Administration sogenannten Krieg gegen den Terror, die Hollywood in den vergangenen Jahren produziert hat. Noch nie zuvor hat die US-Filmindustrie so massiv Widerstand geleistet gegen die Politik einer amtierenden Regierung. Hollywood rekrutierte Unmengen von Stars für seinen Feldzug gegen den Einsatz im Irak und brachte viele hundert Millionen Dollar Anti-Kriegs-Anleihen auf.
Stars wie George Clooney, Matt Damon, Meryl Streep, Tom Cruise, Robert Redford, Jake Gyllenhaal, Reese Witherspoon, Tommy Lee Jones oder Charlize Theron haben mit Filmen wie "Syriana", "Von Löwen und Lämmern", "Machtlos" oder "Im Tal von Elah", die sich kritisch mit den Konfliktherden im Nahen und Mittleren Osten beschäftigen, eine Front gegen den unpopulären Krieg gebildet.
Im Zweiten Weltkrieg hatte Hollywood nach dem Angriff japanischer Bomber auf den amerikanischen Flottenstützpunkt Pearl Harbor im Dezember 1941 und dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg den Einsatz der US-Truppen mit staatstragenden Kriegsepen nach Kräften unterstützt. Die Studios drehten Propagandafilme gegen die Nazis.
Als der Vietnam-Krieg in den sechziger Jahren die amerikanische Nation zu entzweien begann, desertierten die Studios. Berichte und Bilder von den blutigen Kämpfen in Südostasien schlugen sich in Genrefilmen wie dem Gangsterepos "Bonnie und Clyde" (1967) oder dem Western "The Wild Bunch" (1969) in extremen Gewaltszenen nieder. Die direkte Auseinandersetzung mit diesem Krieg wagte Hollywood jedoch erst Jahre nach dem Rückzug der US-Truppen aus Vietnam. Im April 1975 verließen die letzten US-Hubschrauber Saigon, im April 1979 dominierten zwei Epen über die körperlichen und seelischen Versehrungen von Vietnam-Heimkehrern die Oscar-Verleihung: "Coming Home" von Hal Ashby und "Die durch die Hölle gehen" von Michael Cimino.
Seit Beginn des Irak-Kriegs geht Hollywood nun erstmals gegen einen militärischen Konflikt in Stellung, während dieser andauert, und zwar mit allen verfügbaren Mitteln. Die Produzenten wollten zu den wenigen Kriegsgewinnlern gehören, schrieben einige Kommentatoren. Doch sollte Hollywood je die Idee gehabt haben, mit Filmen über den Konflikt im Irak Geld zu verdienen, wäre dies ein Selbstmordkommando gewesen.
Keine 70.000 Dollar spielte Starregisseur Brian De Palma mit seinem Film "Redacted" in den USA ein, in dem er die Vergewaltigung und Ermordung einer 15-jährigen Irakerin durch GIs in der Nähe von Samarra beschreibt. Beim Festival von Venedig hatte er für "Redacted" 2007 den Regiepreis erhalten. Noch weniger Besucher fand im selben Jahr das ergreifende Drama "Grace Is Gone", in dem der Vater zweier Töchter (gespielt von John Cusack) erfahren muss, dass seine im Irak stationierte Frau gefallen ist.
Auch hochbudgetierte Thriller und Action-Spektakel wie "Syriana" (2005), "Machtlos" oder "Operation: Kingdom" (beide 2007), die das Reizwort "Irak" bewusst vermieden und ihre Geschichten stattdessen in Ländern wie Saudi-Arabien spielen ließen, gelang es kaum, ihre Kosten einzuspielen. Der "Krieg gegen den Terror", so scheint es, ist das wirksamste Kassengift, auf das Hollywood je verfallen ist.
Und doch drehen die Studios unverdrossen weiter, mit einer Durchhaltementalität, die inzwischen fast unzeitgemäß wirkt, angesichts der neuen Politik des Präsidenten Barack Obama und des von ihm angekündigten Rückzugs der US-Truppen aus dem Irak. Gerade hat Regisseur Paul Greengrass ("Die Bourne-Verschwörung") die Produktion "Green Zone" abgedreht, in der Matt Damon als CIA-Agent im Irak nach Massenvernichtungswaffen sucht.
- 1. Teil: Sex mit Bomben
- 2. Teil: Journalistische Aufgaben für das Kino