Integration "Ey, Bruder, da ist Bierhoff dran"
3. Teil: "Wir machen unser Land kleiner als es ist"
SPIEGEL: Ihr Vater hatte hier kein Glück. Er wurde alkoholkrank, nachdem er aus Tunesien kam. Haben Sie ihn mal gefragt, was bei ihm schiefgelaufen ist?
Bushido: Als ich ihn das erste Mal nach langer Zeit wiedergesehen habe, da war ich 18, hatte er gerade einen Alkoholentzug gemacht und musste in der Klinik aufschreiben, was schiefgegangen war. Er hat mir das zu lesen gegeben, damit ich ihn verstehe. Er sagt, dass er sich einsam fühlte, als er in den siebziger Jahren nach Deutschland kam. Aber das war ein anderes Deutschland. Er litt darunter, dass seine Familie in Tunesien war. Ehrlich, ich könnte das auch nicht. Also ist er nach der Arbeit in die Kneipe gegangen. Irgendwann musste meine Mutter ihn verlassen. Er hat sie geschlagen. Ich habe ihn verachtet.
SPIEGEL: Inzwischen haben Sie wieder Kontakt zu ihm?
Bushido: Ja. Man wird für seine Fehler schon genügend bestraft. Wenn man mit 65 irgendwo sitzt und keinen hat, ist das Strafe genug. Da muss ich nicht noch kommen und draufschlagen.
SPIEGEL: Verschafft Ihnen Ihre Deutschland-Liebe eigentlich eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl?
Bushido: Ja, aber ich finde es schade, dass wir unser Land kleiner machen, als es ist. Sehen Sie mal, wie gut es uns geht während der WM: nicht wirtschaftlich, ich meine, im Kopf, im Herzen, in der Psyche. Wir sind befreit. Wir können unsere Flagge aus dem Fenster hängen, wir können sie ans Auto hängen. Niemand wird dich blöd angucken oder für einen Nazi halten.
SPIEGEL: Sie haben in einem Song gerappt: "Ich liebe dich, mein Deutschland."
Bushido: Ich habe das genau so gemeint, aber ich wusste natürlich, was für eine Provokation das ist. Anscheinend muss ich nur sagen, was ich denke, und schon ticken alle aus. Auf dem Single-Cover zum WM-Song prangt jetzt der deutsche Adler. Und trotzdem finde ich Rechtsradikale beschissen.
SPIEGEL: Die amerikanische Rapmusik hat sich immer gegen das herrschende System gewandt, ein Aufstand gegen die Idee einer dominierenden weißen Nation.
Bushido: Die Situation der Schwarzen in den USA ist eine völlig andere. Die sind traumatisiert durch die Sklaverei. Das Trauma haben wir Araber oder Türken oder Afrikaner in Deutschland nicht. Im Gegenteil: So sehr, wie wir Einwanderer euch auf der Nase rumtanzen in eurem eigenen Land, da können wir uns nicht beschweren. Ist doch klar, dass wir Deutschland lieben. Wir ziehen euch die Transferleistungen aus den Taschen und haben trotzdem keinen Respekt vor euch Deutschen. Wir halten euch für Kartoffeln, für Opfer. So denken manche. Aber diese Haltung finde ich respektlos.
SPIEGEL: Ihre Freunde, zu denen auch einigermaßen berüchtigte arabische Halbweltleute gehören, sind anders?
Bushido: Die tragen hier alle Deutschland-Trikots! Und schreien sich die Lunge aus dem Leib. In Neukölln in der Sonnenallee gibt es ja den Fall des Libanesen, der sich eine gigantische Deutschland-Fahne ans Haus gehängt hat. In diesem Abschnitt der Sonnenallee gibt es eigentlich nur arabische Läden. Trotzdem hat der Libanese diese Flagge herausgehängt. Und dann kommen Linksextreme oder Autonome und versuchen, sie abzureißen. In der Nacht wird die Fahne abgeschnitten. Der Ausländer muss jetzt vor seiner Deutschland-Fahne Wache halten. Verkehrte Welt.
SPIEGEL: Erinnern Sie sich noch an die französische Mannschaft um Zinedine Zidane, die 1998 Weltmeister wurde? Damals hat man gesagt, die Elf sei ein Beispiel für die gelungene Integration. Zwölf Jahre später ist dieses Modell implodiert. Es brennen die Vorstädte, und die multikulturelle Nationalmannschaft fällt im Streit und Hass auseinander.
Bushido: Wenn es gut läuft, ist eh alles super. Frankreich hat lange Jahre von den Migranten profitiert. Die aber spüren, dass sie nichts mehr haben, auf das sie stolz sein können. Wer seine eigenen Städte anzündet, kann auch nicht für sein Land spielen. Man hat es im Fernsehen gesehen. Gourcuff, der als neuer Regisseur der Mannschaft gedacht war, ein Mittelschichtkind, will ein Interview geben, und von hinten kommen Anelka und Ribéry, die Ghettokids, und deuten Schellen auf seinem Hinterkopf an. Da prallen Kulturen aufeinander, die nie gelernt haben - weder im Land noch in der Mannschaft - zusammenzuleben.
SPIEGEL: Und warum geht das bei den Deutschen? Warum kommt jemand wie Boateng mit Per Mertesacker klar?
Bushido: Egal, wie asozial du bist, du weißt in Deutschland immer noch, an welche Regeln du dich halten musst. Das sehe ich ja an mir selbst. Man weiß, welche Konsequenzen einem drohen. Es ist einem nicht egal. Deswegen brennen hier nicht die Vorstädte. Es gibt diesen Frust in Deutschland nicht. Auch krass asoziale Leute, die ich kenne, machen lieber Raubüberfall oder Einbruch, als Autos anzuzünden. Die wollen Geld verdienen. Wenn asozial, dann profitorientiert. Die kennen das Wort Revolte gar nicht. Wenn der Vater "Ruhe" sagt, dann ist Ruhe.
SPIEGEL: Lange Zeit standen Sie ja genau für diesen Typ böser Migranten. Sie waren derjenige, der sich an keine Regeln hält. Der von Nutten und Gewalt singt. Inzwischen wurde Ihre Autobiografie ein Bestseller, Ihr Leben verfilmt.
Bushido: Selfmade-Millionär, Alter.
SPIEGEL: Sozusagen.
Bushido: Ja, ist so. Das hat sich geändert, und es erschreckt mich etwas. Inzwischen wollen deutsche Eltern, dass ich ein Foto mit ihnen und der neunjährigen Tochter mache. Wahrscheinlich gibt es keinen großen Unterschied mehr zwischen Britney Spears und Bushido.
SPIEGEL: Hat Deutschland sich verändert oder Sie sich?
Bushido: Deutschland natürlich. Das sieht man ja an der Nationalmannschaft. Denken Sie an die Versuche in der Vergangenheit, der Nationalmannschaft einen Farbtupfer zu geben. Gerald Asamoah zum Beispiel, da hatte ich immer das Gefühl, das ist ein Ausländer. Das war nicht gewachsen, das hat nicht gestimmt.
SPIEGEL: Kennen Sie eigentlich diesen berühmten Bolzplatz-Käfig im Wedding, auf dem die Boateng-Halbbrüder oft gespielt haben? Wer nicht Fußballprofi wurde, heißt es, sei nun Drogendealer.
Bushido: Na ja. Die Boatengs sind halt beide Spinner, die hier in der Berliner HipHop-Szene mit dabei waren. Als Fußballer finde ich sie super, beide. Auch Jérôme bei den Deutschen: Bombe. Allein schon, wie der läuft. Wie ein Leichtathlet.
SPIEGEL: Einige deutsche Fußballer strahlen ja inzwischen eine gewisse Lässigkeit aus, das ist auch neu.
Bushido: Ganz ehrlich: Sami Khedira ist mir manchmal schon zu cool. Ich will mit dem über Fußball reden. Aber der interessiert sich einfach nicht dafür. Dann schickt er mir ein Foto von einem Mädchen und fragt: "Guck mal, wie findest du denn die? Ich glaube, ich werde mich mal mit der verabreden." Ich sage: "Alter, bist du bescheuert? Morgen spielt ihr gegen Argentinien!" Die benehmen sich wie im Freibad, gucken den Mädchen nach, und dann gehen sie auf den Platz, buddeln den Argentiniern eine Betongrube und werfen sie rein.
SPIEGEL: Am Ende hat es nicht ganz geklappt.
Bushido: Für mich war die WM da vorbei. Hätte ich jetzt Spanien-Fan werden sollen, oder was?
SPIEGEL: Bushido, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führte Philipp Oehmke
- 1. Teil: "Ey, Bruder, da ist Bierhoff dran"
- 2. Teil: "Vergesst das Gerede von den Wurzeln"
- 3. Teil: "Wir machen unser Land kleiner als es ist"