Kriminalität Auf der Flucht
3. Teil: Fortwährende häusliche Gewalt
Doch mindestens ebenso dramatisch sind die seelischen Verletzungen. Frau G. wird nach der Gewalttat von Angstzuständen heimgesucht, muss sich behandeln lassen. Die früher gesellige Frau kapselt sich oft ab, reagiert misstrauisch gegenüber Neuem. Jahrelang ist es ihr unmöglich, eine Beziehung zu einem Mann aufzunehmen.
Beim Prozess vor dem Landgericht München II wird offenbar, wie gestört K.s Verhältnis zum anderen Geschlecht schon früher war. Eine Ex-Freundin floh vor K. ins Frauenhaus, eine Ex-Ehefrau klagt als Zeugin über fortwährende häusliche Gewalt. Und noch zu DDR-Zeiten misshandelte Andreas K. in Thüringen eine Freundin nach dem gleichen Muster wie Frau G.: Weil die Freundin die Beziehung zu ihm beenden wollte, schlug er ihre Wohnungstür ein, verprügelte und vergewaltigte sie.
Vor Gericht versucht K. zunächst, die Übergriffe auf Frau G. zu leugnen. Erst als ihm der Vorsitzende wegen dieses Verhaltens eine mögliche Sicherungsverwahrung androht, legt er ein Geständnis ab. Er wolle "die Taten so stehenlassen", wie sie Frau G. geschildert habe. Das Urteil, acht Jahre Gesamtfreiheitsstrafe wegen mehrfacher Vergewaltigung und Körperverletzung, nimmt er an. Sicherungsverwahrung wird, auch im Hinblick auf das Geständnis, dann doch nicht verhängt - eine fahrlässige Unterlassung?
Das Gericht hält den Mann für völlig normal
Seltsam: Obwohl K.s sich wiederholende Attacken auf Frauen krankhafte Züge tragen, zumindest psychische Auffälligkeiten möglich erscheinen lassen, wird kein psychiatrischer Gutachter zugezogen. Das Gericht hält den Mann für völlig normal.
Die Drohungen, die K. noch im Gerichtssaal ausstößt, ängstigen Frau G. noch lange, zumal der Gefangene anfangs keine Ruhe gibt. Er schreibt Briefe, die Frau G. ungeöffnet ihrer Anwältin übergibt. Er schickt ehemalige Mitgefangene vorbei, die schöne Grüße aus dem Knast ausrichten.
Um ihr Leben wieder zu normalisieren, flieht Frau G. mit ihrer Familie in ein anderes Bundesland. Sie übernimmt einen Job als Leiterin einer Senioreneinrichtung, kümmert sich um die Ausbildung ihrer Kinder. Sie versucht, die erlittenen Torturen nach und nach zu vergessen.
Die Verdrängung funktioniert halbwegs, bis sie im März dieses Jahres einen Anruf der Kripo erhält: Andreas K. werde im November entlassen. Frau G. bekommt schwere Herzprobleme, schafft nicht einmal mehr den Weg zu ihrem Arbeitsplatz. "Ich war wie vor den Kopf gestoßen", erinnert sie sich. "Ich wusste zwar, dass er irgendwann seine Strafe verbüßt hat. Aber ich dachte immer, die können den doch nicht einfach rauslassen. Der kriegt bestimmt Sicherungsverwahrung oder so was Ähnliches, da wird schon irgendwas passieren. Heute weiß ich, wie naiv das war."
Tatsächlich ist die Verhängung nachträglicher Sicherungsverwahrung - unabhängig von der derzeitigen politischen Diskussion um europäische Rechtsstandards - in Deutschland durchaus möglich. Die Hürden sind jedoch hoch. Die Sanktion kann nur angeordnet werden, wenn nach dem ursprünglichen Gerichtsurteil neue, bislang nicht berücksichtigte Umstände bekannt werden, die bei einer Freilassung auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit schließen lassen. Dies sei bei Andreas K. nicht der Fall, versichert die Münchner Oberstaatsanwältin Andrea Titz. Das jedenfalls habe eine sorgfältige Prüfung bei der Staatsanwaltschaft und dem Vollstreckungsgericht ergeben.
Der Kripo bekanntgewordene Details aus der Haftzeit lassen freilich darauf schließen, dass K. wenig einsichtig ist, auch keinerlei Reue zeigt. Weil er sich einer Therapie verweigert habe, sei er nicht, wie allgemein üblich, nach zwei Dritteln der Haftzeit entlassen worden, sondern müsse seine Strafe bis zum letzten Tag absitzen.
- 1. Teil: Auf der Flucht
- 2. Teil: "Ich will, dass du jetzt gehst"
- 3. Teil: Fortwährende häusliche Gewalt
- 4. Teil: Gefährdet ist die ganze Familie