Klima Beulen im Weltmeer
Der Klimawandel lässt den Meeresspiegel ansteigen. Doch wie verteilt sich das zusätzliche Wasser? Verblüffende Erkenntnis der Forscher: Schwächelt der Golfstrom, staut sich das Wasser in der Nordsee auf. Taut das Eis Grönlands, bleibt der Pegel an Deutschlands Küsten praktisch gleich.
Als Globus dargestellt, ist die Erde rund. Glatt wie eine Weihnachtskugel. Und wer am Strand steht, dem erscheint das Meer flach wie eine Scheibe.
Doch die Sinne täuschen. "In Wahrheit wobbelt das Wasser auf den Ozeanen wild umher", sagt Detlef Stammer. Und er meint damit nicht die Wellen, sondern großflächige Buckel und Beulen des Meeresspiegels.
Der Ozeanograf kennt die falsche Vorstellung der Laien, weshalb er ihnen gern zwei Zahlen vorhält, um diese Illusion zu zerstören. "Im Indischen Ozean steht das Wasser etwa 100 Meter unter, um Island herum dagegen 60 Meter über dem Durchschnitt."
Der falsche Glaube an die Gleichverteilung des Wassers, sagt Stammer, lebe in der Debatte um den Klimawandel weiter. Der Anstieg des Meeresspiegels gilt gemeinhin als die bedrohlichste Folge der globalen Erwärmung. Bilder von im Wasser watenden Bangladeschern sind das Menetekel der Klimaschützer. "Aber die Leute tun dabei so, als würde sich das schmelzende Wasser der Gletscher so ebenmäßig in den Ozeanen verteilen wie das Wasser bei uns daheim in der Badewanne", sagt der Direktor des Zentrums für Meeres- und Klimaforschung an der Universität Hamburg.
Die Wirklichkeit jedoch läuft der menschlichen Intuition zuwider. Nach den jüngsten Schätzungen soll der Meeresspiegel in den kommenden 100 Jahren um rund einen Meter steigen - im Durchschnitt. Das ist die Zahl, die in den nächsten zwei Wochen bei den Verhandlungen auf der Weltklimakonferenz im mexikanischen Cancún immer wieder genannt werden wird. "Dabei hilft den Küstenplanern dieser Durchschnittswert eigentlich gar nicht weiter", sagt Stammer.
Denn richtig ist zwar, dass die Menge der Flüssigkeit in den Ozeanen insgesamt zunimmt. Doch breitet sie sich höchst ungleich in den Meeresbecken aus. Es wird Weltregionen geben, in denen die See weiterschwappen wird wie eh und je, in anderen dagegen wird es um weitaus mehr als den durchschnittlichen Meter steigen. "An einigen Küsten könnte der Meeresspiegel sogar sinken", sagt Stammer.
Noch wissen die Wissenschaftler nicht einmal genau, in welchem Maße die steigenden Temperaturen auf der Erde die Gletscher schmelzen lassen. Entscheidend wird dabei vor allem sein, wie schnell die Eisschilde Grönlands und der Antarktis schrumpfen. Im Moment sieht es so aus, als steige im Norden der Nettoeintrag an Schmelzwasser stetig. Derzeit liegt er bei 237 Kubikkilometern pro Jahr. Die Eismenge am Südpol scheint dagegen insgesamt eher stabil. "Im Westen der Antarktis taut es, im größeren Ostteil dagegen baut sich der Schnee eher auf", sagt Stammer.
Um rund drei Millimeter steigt das Meer derzeit jedes Jahr im Mittel an. Dazu tragen das Gletscherwasser bei, die stetig steigende Entnahme von Grundwasser in der Landwirtschaft, aber auch ein simpler thermischer Effekt: Weil sich Wasser bei der Erwärmung ausdehnt, schwellen die Ozeane an. Das alles wird sich bis zum Ende des Jahrhunderts noch beschleunigen, so dass insgesamt ein Meter Anstieg zusammenkommt, so der derzeitige Konsens der Ozeanforscher.
In Wirklichkeit jedoch ist die simple Botschaft von den steigenden Fluten drastisch vereinfacht. Dahinter verbirgt sich ein hochkomplexer Vorgang, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt. Nur langsam beginnen die Wissenschaftler das Geschehen in seinen zum Teil gegenläufigen Prozessen zu verstehen. "Erst seit einigen Jahren befasst sich die Forschung intensiver mit den regionalen Prognosen für den Meeresspiegelanstieg", gesteht Stammer.
- 1. Teil: Beulen im Weltmeer
- 2. Teil: Warum Forscher lange Zeit über keine genauen Daten verfügten
- 3. Teil: Die warme Zukunft im Treibhaus Erde