Wissen macht Spaß Auf den Zahn gefühlt
Manches gilt als unumstößlich, bis jemand das Gegenteil beweist. Vom ach so gesunden Spinat bis zur Erdscheibe - menschliches Wissen war und ist von Irrtümern durchsetzt. Einige von ihnen sind sogar ziemlich amüsant.
Die Erde ist eine Scheibe. Seefahrer, die sich zu weit aufs Meer hinauswagen, laufen deshalb Gefahr, über den Scheibenrand ins Verderben zu stürzen. Tausende Jahre herrschte dieser Irrglaube, er prägte die Geschicke der Menschheit bis ins Mittelalter. Denkt man. Und sitzt dabei selbst wieder einer Täuschung auf: Schon seit Platon, also etwa 400 Jahre vor Christus, war allen seriösen Gelehrten und Seefahrern in Europa bekannt, dass unser Planet nicht flach, sondern kugelförmig ist.
Solche schwer ausrottbaren Irrtümer gibt es, seit Menschen versuchen, Antworten zu finden auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Die meisten Fehler waren natürlich eher harmlos, sogar banal.
Weil ein Schweizer Physiologe beim Bestimmen des Eisengehalts von Spinat irreführende Angaben gemacht hatte, wurde Generationen von Kindern die nicht unbedingt wohlschmeckende grüne Grütze eingeflößt, obwohl in Wirklichkeit sogar Kakaopulver prozentual mehr von dem lebenswichtigen Blutbaustein enthält. Geschadet hat das aber sicherlich den wenigsten. Jahre später rechnete jemand nach, und der Spinat-Mythos wurde aufgeklärt. Andere Irrtümer halten sich wesentlich hartnäckiger - manche beeinflussten sogar die Geschichte.
Die größten Fehleinschätzungen entstanden im Zusammenhang mit den größten Fragen, zum Beispiel nach der Beschaffenheit, Form und Umgebung unseres Heimatplaneten. An eine platte, tellerförmige oder gar viereckige Erde glaubten viele frühe Völker. "Dass aber noch das mittelalterliche Weltbild von einer Scheibe ausging, ist völliger Unsinn", sagt Reinhard Krüger. Der Romanistikprofessor an der Universität Stuttgart trägt seit 15 Jahren historische Belege dafür zusammen, dass die Kugelform der Erde Naturforschern und Kaufleuten schon seit mehr als 2000 Jahren kontinuierlich bekannt ist.
"Dass die Erde noch im 13. Jahrhundert als tellerförmig galt, ist ganz einfach eine Erfindung der Aufklärung, die sich damit vom ,dunklen Mittelalter' abgrenzen wollte", sagt Krüger. "Diese Erfindung wurde in der Geschichtsschreibung anschließend übernommen. Auf diese Weise hat sie ihren Weg bis in die Schulbücher des 20. Jahrhunderts gefunden."
Die Erde als Mittelpunkt des Universums
Weitaus länger hielt sich, trotz widersprechender Beobachtungen, die Vorstellung von der Erde als Mittelpunkt des Universums. Schon vor über zwei Jahrtausenden war das geozentrische Weltbild eigentlich überholt; im dritten Jahrhundert vor Christus hatte der griechische Astronom Aristarch von Samos erkannt, dass nicht die Sonne sich um die Erde dreht, sondern umgekehrt. Doch erst im 16. Jahrhundert konnte Nikolaus Kopernikus der Theorie zum Durchbruch verhelfen.
Falsche Annahmen haben die Entwicklung des Wissens beileibe nicht immer gebremst. Zuweilen waren sie sogar echte Motoren des Fortschritts. Die im 17. Jahrhundert entstandene Ätherhypothese, die besagt, dass alle scheinbar leeren Räume von einer unsichtbaren Materie, dem Äther, ausgefüllt sind, war zwar falsch, ließ sich aber trotzdem zur Formulierung richtiger neuer Erkenntnisse heranziehen, zum Beispiel den Gesetzen der Lichtbrechung, die auch ohne die Existenz des Äthers gelten. Erst Einsteins Relativitätstheorie allerdings konnte das Verhalten von Lichtwellen so erklären, dass die Ätherhypothese unnötig wurde.
Kolumbus hätte wohl nie Amerika entdeckt, wäre er nicht davon ausgegangen, dass die Erde zwar kugelförmig sei, ihr Umfang aber lediglich 30.000 Kilometer betrage statt wie in Wirklichkeit 40.000. Die Strecke von Portugal bis nach Asien unterschätzte er auch deswegen um über 10.000 Kilometer. Andernfalls hätte er sich nie auf die lange Reise gemacht, die 1492 letztlich für die Europäer einen neuen Kontinent zutage förderte.
Einen Kontinent, dessen Bevölkerung ebenfalls so mancher bizarren Vorstellung anhing. Wie schon im alten Ägypten und im antiken Griechenland war etwa bei den Mayas für Schmerzen im Gebiss eine schauerliche Erklärung verbreitet: Ursache, so glaubte man, seien Zahnwürmer, die sich von innen durch den menschlichen Mundraum fräßen. Dieser Glaube hielt sich selbst in Europa bis ins 19. Jahrhundert.
Aderlass als Universalheilmittel
Andere medizinische Lehrmeinungen konnten tödliche Folgen haben. So galt im Mittelalter der Aderlass als Universalheilmittel. Fieber, Lungenentzündung, Herzfehler? Einfach eine Vene anstechen und das "kranke" Blut herausfließen lassen! Diese Therapie war nicht selten lebensgefährlich: Durch die Blutabnahme wurden die Patienten zusätzlich geschwächt; mitunter war das Quantum, das Arzt oder Bader ablassen wollten, sogar höher als die tatsächlich im Körper befindliche Menge Blut.
Aderlässe beruhten auf der seit Hippokrates gültigen Humoralpathologie: Das Wohlbefinden des Menschen, so lehrte sie, hänge von vier Säften ab, die sich im Gleichgewicht befinden müssten - Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle. Anhand dieser Flüssigkeiten teilte man die Menschen auch in Persönlichkeitstypen ein: energiegeladene Sanguiniker, träge Phlegmatiker, reizbare Choleriker und introvertierte Melancholiker. War jemand krank, versuchte der Arzt die Säfte wieder in Balance zu bringen.
Eine andere bei Klosterärzten extrem beliebte Methode, den Körper von verdorbenen Lebenssäften zu befreien, bestand darin, Tierkot oder anderen Schmutz auf offene Wunden zu schmieren. Dass nach einigen Tagen Eiter aus den Wunden trat, werteten die mittelalterlichen Heiler als Behandlungserfolg und Bestätigung für die Wirksamkeit ihrer Kur. Leider endete sie oft letal.
Je schlüssiger eine Theorie auf den ersten Blick und je zeitgeistiger und blumiger die zugehörige Erklärung, desto eher setzt sie sich durch, und desto länger kann sie sich oft auch halten. Annahmen, die besonders fortschrittlich, dadurch von Kenntnisstand und der Lebensrealität ihrer Zeit jedoch weiter entfernt sind, haben es dagegen oft schwer, anerkannt zu werden, selbst wenn sie der Wahrheit entsprechen. So erging es der Evolutionslehre Charles Darwins.
Als der Naturforscher im Jahr 1859 sein Werk "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" veröffentlichte, glaubte die Mehrheit der europäischen Naturforscher genau wie der Rest der Bevölkerung noch, dass Tiere und Menschen von Gott geschaffen worden seien. Darwin erkannte, dass die Individuen einer Spezies verschieden sind, miteinander in Wettbewerb stehen und dass nur die Angepasstesten überleben. Die Veränderlichkeit der Vielfalt über viele Generationen hinweg ohne einen Schöpfer und den gemeinsamen Ursprung von Arten hielt die Allgemeinheit für unmöglich.
- 1. Teil: Auf den Zahn gefühlt
- 2. Teil: Mythen und Ammenmärchen