WM-Führender Vettel Matchball in der Achterbahn
Folgt jetzt die Krönung? Sebastian Vettel fuhr in Abu Dhabi furios aus der Boxengasse auf Rang drei. Vor den letzten zwei Rennen ist seine Ausgangslage glänzend: Die Strecken liegen ihm besser als Konkurrent Alonso, sein Auto ist schneller - nur sein Team darf nicht noch einmal patzen.
Die Gesichter sprachen Bände. In dem kleinen Raum, in dem sich die drei Erstplatzierten nach jedem Formel-1-Lauf treffen, bevor sie gemeinsam zur Siegeszeremonie aufs Podium gehen, gab es zwei Gruppen. Ferrari-Pilot Fernando Alonso saß alleine mit versteinerter Miene in einer Ecke und wischte sich mit einem Handtuch den Schweiß aus dem Gesicht. Auf der Couch in der anderen Ecke scherzten Sebastian Vettel und Sieger Kimi Raikkönen wie zwei Schulkumpels in der großen Pause.
Vettels Freude hatte zwei Gründe. Zum einen gönnte er Kimi Raikkönen - der Finne ist sein bester Freund unter den Formel-1-Piloten - den ersten Sieg seit seinem Comeback in der Königsklasse. Noch wichtiger war aber: Raikkönen hatte durch seinen Sieg beim Rennen in Abu Dhabi Vettels Titelkonkurrenten Alonso wichtige Punkte im WM-Zweikampf weggenommen. Vettels dritter Platz fühlte sich so für ihn wie ein Sieg an.
Denn nach der Benzinpanne im Qualifying und der Strafversetzung ans Ende des Feldes hatte das kaum jemand erwartet. Statt möglicher zehn oder 15 Punkte büßte er am Ende nur drei Zähler auf seinen einzig verbliebenen Konkurrenten im Titelkampf ein.
Vettel-Sieg in Austin käme nicht überraschend
Der Spanier Alonso steht nun stark unter Druck. Der Grund: Auf allen Strecken, die seit 2009 im Rennkalender neu waren, hat Vettel mit dem Red Bull dominiert. 2009 war Abu Dhabi neu im Kalender, Vettel gewann. 2011 Indien, Vettel siegte souverän. Und 2010 in Korea gewann Vettel nur deshalb nicht, weil der Renault-Motor im Red Bull den Geist aufgab - Vettel lag bis zu seinem Ausfall deutlich in Führung.
Ein Vettel-Sieg auf der wegen der extremen Höhenunterschiede "Achterbahn" genannten neuen Strecke in Austin am 18. November (20 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE) käme somit nicht überraschend. Weil sowohl er als auch die Red-Bull-Ingenieure sich am schnellsten auf neue Kurse einstellen können.
Was es für Alonso noch so schwierig macht: Der Kurs in Abu Dhabi galt unter den letzten drei Saisonrennen noch als Strecke mit den besten Siegmöglichkeiten für Ferrari. Alonso spürt den Druck. "Ich weiß, wir sind nicht schnell genug, aber ich werde weiter kämpfen", sagte Alonso.
"Abgerechnet wird am Schluss"
Fest steht: Aus eigener Kraft kann Alonso den Titel kaum noch gewinnen. Dafür fehlen ihm im Moment mit dem Ferrari die Mittel. Er muss auf ein weiteres Missgeschick von Red Bull hoffen - wie den Tankfehler in Abu Dhabi. Aber selbst damit konnte Vettel noch aufs Podium fahren. Von der Logik her hat Vettel also schon eine Hand am WM-Pokal. Nur sein Aberglaube hält ihn davon ab, das genauso zu sehen. "Abgerechnet wird am Schluss", sagt er. Aber sein Grinsen bei diesem Satz strahlt Siegesgewissheit aus.
Rein rechnerisch ist die Ausgangslage klar: Zwei Rennen vor dem Ende der WM hat Vettel zehn Punkte Vorsprung und kann deshalb schon in Austin Weltmeister werden. Voraussetzung: Vettel muss mit 25 Punkten Vorsprung auf Alonso ins letzte Rennen eine Woche später in Brasilien gehen. Weil es 25 Punkte für einen Sieg gibt, könnte Alonso selbst bei einem Erfolg dann nur mit Punkten gleichziehen. Bei Gleichstand zählt aber die Anzahl der Siege. Und da läge Vettel 5:4 vorne.
Wenn Vettel in Texas gewinnen sollte, muss Alonso mindestens Vierter (zwölf Punkte) werden, um den Matchball Vettels abzuwehren und seine - wenn auch nur theoretische Chance aufrecht zu halten. Vettel reicht ein zweiter Platz (18), wenn Alonso nur Neunter wird (zwei Punkte). Bliebe der Spanier punktlos, würde Vettel sogar mit einem dritten Platz (15) frühzeitig seinen dritten Titel in Folge einfahren.
Am wahrscheinlichsten ist allerdings, dass Alonso den WM-Kampf noch bis zum letzten Rennen führen wird. Denn fahrerisch ist er Vettel sicherlich ebenbürtig. Gelingt Alonso ein Qualifying unter den ersten sechs, ist mit ihm auf dem Podium zu rechnen. Dazu kommt: Sein Ferrari geht sanft mit den Pirelli-Reifen um. Deshalb ist der Spanier im Rennen konkurrenzfähiger als im Training. Favorit auf den Titel ist und bleibt aber auch nach dem Rennen in Abu Dhabi Sebastian Vettel.