Formel-1-Strecke in Sotschi Mit 300 Sachen durch Putins Olympiapark
Spektakulärer Kurs, fragwürdiges Umfeld: Erstmals gastiert die Formel 1 mit dem Großen Preis von Russland in Sotschi. Die Begeisterung bei den Fahrern ist groß, politische Nachfragen sind unerwünscht.
Jenson Button gab das Sprachrohr für seine Kollegen auf dem Pressepodium. Zu politischen Dingen in Russland, sagte der McLaren-Pilot, werde man sich nicht äußern, das sei, wenn überhaupt, Aufgabe der Teamchefs, Punkt. Sebastian Vettel, Fernando Alonso, Felipe Massa, Adrian Sutil und Daniil Kwjat nickten mehrfach und waren offensichtlich erleichtert, nichts zum Ukraine-Konflikt sagen zu müssen, wie es sich ein Kollege von der "New York Times" gewünscht hatte.
Die Formel 1 bleibt unpolitisch, auch in Sotschi, wo am Sonntag (13 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV: RTL und Sky) erstmals der Große Preis von Russland ausgetragen wird. "Wir haben immer gesagt, dass wir uns davon distanzieren wollen, Dinge politisch zu betrachten", sagt Claire Williams, stellvertretende Chefin des Williams-Teams. Und Christian Horner platzte vor Kurzem bei einer Pressekonferenz der Kragen, als er gefragt wurde, ob es moralisch vertretbar sei, in Ländern wie Russland oder Bahrain zu fahren. "Depressive Fragerei", blaffte der Red-Bull-Boss die Journalisten an.
Natürlich fährt die Formel 1 an diesem Wochenende in Sotschi, ein Boykott war nie ernsthaft Thema bei den Team-Verantwortlichen. Weil es Verträge gibt, unterschrieben von Formel-1-Boss Bernie Ecclestone und Russlands Präsidenten Wladimir Putin, die der Rennserie viel Geld einbringen, angeblich 50 Millionen Dollar pro Jahr. Davon reicht Ecclestone einen ordentlichen Teil an die Teams weiter und erstickt damit mögliche Boykottgedanken im Keim. Die überwiegend defizitär arbeitenden Rennställe können es sich nicht erlauben, auf Geld zu verzichten.
Hamilton und Vettel schwärmen von der Strecke
Während sich Ecclestone die Gunst der Teams erkauft, ist der Grand Prix nach den Olympischen Winterspielen im Februar dieses Jahres ein weiteres Sport-Großereignis, mit dem Putin protzen und seinen Ruhm mehren will (die Fußball-WM 2018 in Russland steht ja auch noch an). Kosten dürften bei diesen Projekten kein Hindernis sein, wie schon Olympia zeigte, als es mit 50 Milliarden Dollar die teuersten Winterspiele der Geschichte waren. Der "Sochi Autodrom" dagegen hat nur 260 Millionen Euro gekostet - und war damit trotzdem doppelt so teuer wie geplant.
Den Fahrern wird es egal sein, sie zeigen sich von der neuen Rennstrecke überaus angetan. "Ich bin begeistert, die Infrastruktur ist hervorragend", sagt WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton. Und der amtierende Weltmeister Vettel schwärmt: "Der Olympische Park und die Rennstrecke mittendrin, das ist einzigartig auf der Welt."
Lässt man, wie die Fahrer, einmal alle politischen Komponenten dieses Kurses außer Acht, dann dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass Hermann Tilke und sein Team einen optisch spektakulären Kurs entwickelt haben. Der Deutsche hat bereits diverse Formel-1-Rennstrecken geplant, die in Sotschi war aber "eine besonders komplizierte Baustelle", wie Tilke sagt.
"So etwas gibt es nirgendwo anders"
Das Problem der Planer: Als sie sich 2010 erste Gedanken über den neuen Kurs machten, war eine andere Großbaustelle schon im Gange, die des Olympiaparks in Sotschi. "Dort hat sich ständig etwas geändert, also mussten auch wir immer wieder umplanen", sagt Tilke. Denn, das war eine Vorgabe an die Planer, die Strecke sollte durch ebenjenen Park verlaufen und möglichst viele olympische Bauwerke passieren.
Daher rasen die Piloten nach dem Start vorbei am Eisberg-Eislaufpalast, wo während der Winterspiele die Eiskunstlauf- und Shorttrack-Wettbewerbe stattfanden, in Richtung Medal-Plaza, die sie zur Hälfte umrunden. Diese langgezogene Kurve in Form eines Hufeisens ist die spektakulärste Stelle der neuen Rennstrecke. Die Piloten fahren mit rund 120 Stundenkilometern in die Kurve und kommen an deren Ende auf fast 300. "Die Kurve wird voll durchbeschleunigt, das wird die Reifen richtig stressen", sagt Tilke: "So etwas gibt es nirgendwo anders."
Anschließend fahren die Piloten um den mächtigen Bolschoi-Eispalast herum, Schauplatz des olympischen Eishockeyfinales, passieren dann das Ice Cube Curling Center und die für Eisschnelllauf errichtete Adler-Arena, bevor sie auf einer langgezogenen Geraden mit bis zu 300 Stundenkilometern wieder in Richtung Start-Ziel-Bereich rasen. Davor wartet allerdings noch eine Passage, die laut Vettel "eine knifflige Angelegenheit werden könnte".
Mit 5,872 Kilometern hat Sotschi nach Spa und Silverstone die drittlängste Strecke des diesjährigen Rennkalenders. Noch länger ist der Rundkurs, der derzeit ebenfalls von Tilke geplant wird und ab 2016 Bestandteil der Formel 1 ist: In Aserbaidschans Hauptstadt Baku wird eine Rennrunde mehr als sechs Kilometer lang sein. Anders als in Sotschi ist es ein traditioneller Stadtkurs. Doch politische Fragen dürften in dem autoritären Staat ebenso unbeantwortet bleiben wie in Russland.