Bastian Schweinsteiger als DFB-Kapitän Nur noch eine Frage der Ehre
Der neue DFB-Kapitän heißt Bastian Schweinsteiger - obwohl der Münchner für seine Verletzungsanfälligkeit bekannt ist. Aber die Nationalspieler brauchen keinen Boss, der sie andauernd antreibt. Das besorgen sie mittlerweile selbst.
Es gibt diese berühmte Szene aus Sönke Wortmanns Sommermärchen-WM-Film von 2006: Da sitzt Joachim Löw als Assistent von Jürgen Klinsmann in der Umkleidekabine und hört zu, wie sein Chef die Mannschaft auf die Bedeutung ihres Kapitäns einschwor. Der Spielführer hieß Michael Ballack, aber Klinsmann nannte ihn nur "unseren Capitano". Ballack, der Leader.
Acht Jahre später hat Löw als Chef- und Weltmeistertrainer seinen neuen Mannschaftskapitän berufen. Und die Wahl von Bastian Schweinsteiger zeigt, wie sehr sich Mannschaft und Kapitänsamt in diesen acht Jahren verändert haben.
Der Münchner ist ein anderer Typ als Ballack - einer, der zwar auch Verantwortung übernimmt, aber immer als Teamplayer aufgefallen ist. Einer, dem über Jahre Führungsqualitäten abgesprochen wurden, weil ihm das Boss-Gehabe, wie es unter Ballack noch gepflegt wurde, abgeht. Der deswegen vor Jahren beim FC Bayern mal als Chefchen verspottet wurde. Ein Spieler der Löw-Schule.
Und damit genau die richtige Wahl.
Den wichtigsten Satz zu dieser sogenannten K-Frage hatte ohnehin Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff bereits am Vortag gesagt: "Die Kapitänsfrage ist überbewertet", hatte Bierhoff festgestellt, und für diese deutsche Nationalmannschaft stimmt das noch mehr als für andere Teams.
Die Nationalelf, so wie sie in Brasilien Weltmeister geworden ist, ist über Jahre gewachsen, ihre Spielidee ist von den Profis komplett verinnerlicht. "Der Kapitän muss ja nicht meine Spielphilosophie dauernd ins Team hineintragen, die ist allen bekannt", sagt Löw.
Kapitänsbinde ist eine Würdigung der Verdienste
Von daher ist es für Trainer und Mannschaft letztlich zweitrangig, ob Torwart Manuel Neuer die DFB-Auswahl als Spielführer auf den Platz bringt oder Schweinsteiger oder Sami Khedira. Die Kapitänsbinde ist heutzutage vielmehr vor allem eine Würdigung der Verdienste, die sich ein Spieler um dieses Team erworben hat. DFB-Kapitän zu sein - das ist eine Frage der Ehre. Mehr aber auch nicht. Ein Mannschaftskapitän der Nationalmannschaft ist heute mehr Außenminister des DFB, manchmal gar Bundespräsident, aber ein Regierungschef, das ist er nicht.
Insofern trifft es mit Schweinsteiger den absolut Richtigen. Neben Lukas Podolski ist er inzwischen der letzte Verbliebene aus dem Team, das mit Klinsmann und Löw 2006 die Heim-WM bestritten hat. Er gehört zum Hunderter-Klub des DFB, hat mittlerweile 108 Länderspiele bestritten, obwohl er gerade erst 30 Jahre alt ist. Es wären noch erheblich mehr DFB-Einsätze, wenn er nicht zahlreiche Spiele in der Vergangenheit wegen Verletzungen hätte absagen müssen.
Motivationspredigten sind nicht mehr gefordert
In früheren Zeiten wäre genau das ein Verhinderungsgrund gewesen, ihm die Kapitänsbinde zu überlassen. Schweinsteiger ist für seine Verletzungsanfälligkeit bekannt, zwischen 2011 und 2013 fanden zwölf Testspiele in Serie ohne ihn statt, auch auf die anstehenden Partien gegen Argentinien am Mittwoch und Schottland am kommenden Sonntag muss der neu gekürte Spielführer wegen seiner Probleme mit der Patellasehne verzichten. Bei Twitter wird er schon als der "Pflichtspiel-Kapitän" verspottet.
Aber die heutige Mannschaft braucht die Dauerpräsenz ihres Kapitäns nicht mehr, um sich auf das zu konzentrieren, worauf es ankommt. Sie hat sich quasi von der Abhängigkeit einer Führungsperson emanzipiert. Spieler wie Toni Kroos, André Schürrle, Mats Hummels, Marco Reus oder Jérôme Boateng würden über Kabinenansprachen, wie sie Klinsmann und Ballack 2006 hielten, heute herzhaft lachen. Für Löw ist sowieso nur wichtig: "Immer wenn es darauf ankam, konnte ich mich auf Bastian Schweinsteiger verlassen." Mehr zählt nicht.
Die heutige Spielergeneration denkt in spieltaktischen Kategorien, sie weiß, was sie auf dem Platz zu tun hat, sie ist so gut ausgebildet wie keine andere vor ihr. Hemdsärmelige Motivationspredigten sind da wirklich nicht mehr gefragt.
Ein Capitano wie Ballack wäre ein Relikt aus früheren DFB-Zeiten. Diese Mannschaft braucht keinen Chef mehr. Sie braucht eigentlich noch nicht einmal ein Chefchen.