DFB-Team gegen Südkorea Fingerzeig
Das anstehende Deutschland-Spiel gegen Südkorea weckt Erinnerungen an die WM 1994. Damals traf das DFB-Team im dritten Gruppenspiel auf den gleichen Gegner. Stefan Effenberg machte die Partie unvergessen.
Niemand hat den Augenblick festgehalten, es gibt kein Foto von ihr, keine Kamera hat diesen Moment gefilmt, dennoch kennt jeder Fußballfan diese Geste. Sie gehört zur deutschen WM-Geschichte, und sie gehört vor allem zu dem Fußballer Stefan Effenberg.
Das WM-Gruppenspiel von 1994 zwischen Deutschland und Südkorea wäre wahrscheinlich längst in Vergessenheit geraten, und die Spieler von damals hätten sicher wenig dagegen, dass man sich an diese Partie nicht mehr erinnert. Aber der Stinkefinger von Effenberg hat diese Begegnung museal werden lassen. Dass heute jeder die berühmte Stinkefinger-Szene kennt, liegt daran, dass Effenberg den Moment später noch einmal für Fotografen nachstellte.
Die Szene ereignete sich am 27. Juni, der Weltmeister Deutschland trat zum Gruppenspiel gegen Südkorea an, die Partien zuvor waren nicht so optimal gelaufen, dennoch reichte dem Titelverteidiger ein Erfolg zum Gruppensieg. All das trifft fast exakt auf die jetzige Situation bei der WM in Russland zu. Nur, dass Deutschland diesmal auch auf einen Ausrutscher Mexikos angewiesen ist, um Erster zu werden. Ansonsten passt alles, sogar das Datum des Spiels. Aber hier gehen wir um 24 Jahre zurück.
Kahn, Effenberg, Basler, Matthäus
1:0 gegen Bolivien, danach ein glückliches 1:1 gegen Spanien, damals noch bei Weitem nicht die europäische Fußballmacht von heute - es hätte besser laufen können für die Mannschaft von Bundestrainer Berti Vogts in den ersten beiden Vorrundenspielen. Man merkte dem Team an, dass die Harmonie fehlte.
Dabei war der Kader gespickt mit Stars, fast alle Weltmeister von 1990 sind noch mit dabei: von Lothar Matthäus über Jürgen Klinsmann bis Rudi Völler. Matthias Sammer und Ulf Kirsten waren aus der DDR hinzugekommen. Auf der Bank saß der junge Oliver Kahn, dazu standen die Jungstars Thomas Strunz und Mario Basler im Kader. Und Effenberg. Allein an den Namen erkennt man die explosive Mischung. Es waren quasi alle vermeintlichen TV-Experten von heute vertreten.
"Innerhalb der Mannschaft gab es viele Konflikte, die Stimmung war schlecht", hat sich Mittelfeldspieler Andreas Möller viele Jahre später in der "Zeit" an 1994 erinnert. Dauernd sei es um das Thema Spielerfrauen gegangen, einige im Kader wollten ihre Familie am liebsten dauernd um sich haben, der Bundestrainer "sah einiges zu eng", sagte Möller. Was man sich bei Vogts sofort vorstellen kann.
50 Grad in der Cotton Bowl
An diesem Juninachmittag, an dem in der Cotton Bowl von Dallas das Spiel gegen die Südkoreaner anstand, war es vor allem eins: heiß. Einige sprechen sogar von gut 50 Grad in der Sonne. Nach der Partie wirkten die Spieler für Guido Tognoni, den Pressechef der Fifa, "wie tote Fliegen".
Während der Partie litt der Weltmeister sichtlich unter der Hitze, er hatte das Spiel auch extrem schnell angegangen und führte zur Pause leicht und locker 3:0. Nach dem Wechsel jedoch ging nichts mehr. Die Koreaner hatten ihre Ehrfurcht vor dem Titelverteidiger abgelegt, sie schossen kurz nach dem Seitenwechsel das 1:3, dann mit einem haltbaren Fernschuss den Anschlusstreffer zum 2:3, weil Weltmeister-Torwart Bodo Illgner am Ball vorbeigriff.
Danach stürzte das DFB-Team von einer Verlegenheit in die nächste, die deutschen Fans in Dallas fingen an zu pfeifen, dann zu schimpfen. Und einen hatten sie sich dabei besonders ausgeguckt: Stefan Effenberg, der von allen am lustlosesten spielte und sich auch noch die zweite Gelbe Karte des Turniers abholte. "Effenberg raus" hallte es durch die Cotton Bowl.
Vogts hatte irgendwann genug von seinem Außenverteidiger gesehen - die Position spielte Effenberg damals - und nahm ihn in der 75. Minute unter den Buhrufen und dem Gejohle der Fans vom Platz. Der Nationalspieler bekam das natürlich mit, seine Antwort beim Herauslaufen: der ausgestreckte Mittelfinger. Seine Mitspieler schlichen derweil dem 3:2-Sieg entgegen, irgendwie retteten sie den Vorsprung über die Zeit.
DFB-Präsident war empört
Während in Deutschland - das Spiel hatte um 22 Uhr mitteleuropäischer Zeit stattgefunden - alle schlafen gingen, begann in Dallas die dritte Halbzeit. DFB-Präsident Egidius Braun, ein Herr aus einer anderen Zeit, in der Mittelfinger nicht vorkamen, war hell empört "über diese Obszönität" Effenbergs, forderte Konsequenzen. Und Vogts, der genug damit zu tun hatte, all die schwer erziehbaren Charaktere in seinem Team zusammenzubinden, war wohl froh, einen von ihnen loszuwerden.
Am nächsten Tag gab es eine Pressekonferenz mit dem berühmten Satz von Vogts: "Solange ich Bundestrainer bin, wird Stefan Effenberg nie wieder spielen." Effenberg und Ehefrau Martina mussten das Quartier sofort verlassen, der Nationalspieler suchte sich mit seiner Familie ein Hotelzimmer und machte dann ein bisschen Sightseeing in den USA. Er hatte dann ja Zeit.
Auch die Reise seiner Teamkollegen ging nicht mehr lange weiter. Der wahrscheinlich stärkste deutsche WM-Kader, den es je gab, flog im Viertelfinale gegen Bulgarien nach dem Kopfball von Jordan Letschkow nach Hause. Ob es auch hier Parallelen gibt, entzieht sich derzeit noch der Kenntnis.