Erfolgreicher Gladbach-Trainer Favre im Härtetest
Das Team spielt derzeit den schönsten Fußball in der Bundesliga - dennoch herrscht in Mönchengladbach Unruhe. Wichtige Spieler gehen, Trainer Lucien Favre zögert mit der Vertragsverlängerung, der FC Bayern lockt. Dabei wäre es für den Coach die größte Herausforderung, bei der Borussia zu bleiben.
Borussia Mönchengladbach ist Tabellenzweiter der Fußball-Bundesliga, zuletzt stand der Verein vor 16 Jahren annähernd so gut da. Im DFB-Pokal hat die Mannschaft das Halbfinale erreicht und darf vom Endspiel träumen. Das Team zelebriert ein geradezu atemberaubendes Kurzpassspiel. Mittlerweile kursieren bei YouTube zahlreiche Zusammenschnitte unter der Überschrift "Borussia Barcelona". Es ist dieselbe Mannschaft, die in der Vorsaison schon mit anderthalb Beinen in der zweiten Liga stand.
Es ist eine überragende Spielzeit eines überragenden Teams - und doch machen sich im Umfeld Unruhe und Ungewissheit breit.
Schlüsselspieler werden den Club zum Saisonende verlassen und die direkte Konkurrenz verstärken: Marco Reus geht nach Dortmund, Abwehrchef Dante steht kurz vor dem Wechsel zum FC Bayern München, der defensive Mittelfeldspieler Roman Neustädter ist sich mit dem FC Schalke einig. Das sind schmerzliche Verluste für eine Manschaft, die so eingespielt ist wie keine andere in der Liga. Aber dies alles, selbst der Abgang von Nationalspieler Reus, wäre zu verkraften. Schließlich nimmt der Verein durch die Transfers mehr als 20 Millionen Euro ein, die gewinnbringend und klug investiert werden können. Spielerabgänge lassen sich kompensieren.
Bei einem Abschied des Trainers sähe das ganz anders aus.
Lucien Favre ist der Baumeister des Gladbacher Erfolgs. Der Schweizer ist ein Fußballbesessener, ein Detail-Freak. Einer, der das geschafft hat, was Jürgen Klinsmann sich einst beim FC Bayern vornahm und nicht einlösen konnte: Er macht jeden Spieler ein bisschen besser, indem er ihm eine Rolle in einem klaren fußballerischen Konzept zuweist. Die Profis von Borussia Mönchengladbach haben sich voll und ganz auf Favres großen Plan vom Fußball eingelassen. Das macht das Team so stark. Der Coach hat den schwächelnden Stürmer Mike Hanke als Ballverteiler neu erfunden, er hat Mittelfeldspieler Juan Arango zum Laufen gebracht.
Beckenbauer lobt Favres Arbeit in Mönchengladbach
Favre hat Großes in Mönchengladbach geschaffen. Er war möglicherweise zu gut, zu erfolgreich in zu kurzer Zeit für diesen Verein. Favre scheint dies zu ahnen. Er zögert, seinen bis 2013 laufenden Vertrag frühzeitig zu verlängern, er schweigt zu seiner Zukunft.
Parallel dazu stimmen sie in München bereits das hohe Lied auf den Gladbacher Coach an. Franz Beckenbauer ist bereits vor Wochen vorgeprescht: "Favre kann es, das ist überhaupt keine Frage". Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge kennt den Schweizer seit langem, hat einst bei Servette Genf mit ihm zusammengespielt, gar im Trainingslager das Zimmer mit Favre geteilt.
Erfahrungen in Berlin haben bei Favre Spuren hinterlassen
Wenn Oldie Jupp Heynckes bei den Bayern aufhört, würde es niemanden wundern, wenn Favre als ein heißer Kandidat auf dessen Nachfolge gehandelt würde. Der frühere Schweizer Nationalspieler und Ex-Bayern Profi Ciriaco Sforza ist sich gar "sicher, dass Favre Bayern-Trainer wird".
2009 hat Favre als Coach von Hertha BSC vermeintlich Ähnliches erlebt, wie das, was sich jetzt in Mönchengladbach abspielt. Schon damals hat er aus einem Team der Unauffälligen einen Meisterschaftskandidaten geformt, und auch in Berlin gingen ihm am Ende der Spielzeit wichtige Profis verloren: Die Stürmer Marko Pantelic und Andrej Woronin, die fast alle Berliner Tore erzielt hatten, verließen den Club, Innenverteidiger Joe Simunic folgte. Alle drei haben danach nie mehr so erfolgreich gespielt wie unter Favre zur Hertha-Zeit.
Damals blieb der Trainer, ging bei dem finanziell klammen Hauptstadtclub mit einem kaum verstärkten Kader in die neue Spielzeit und wurde nach dem siebten Spieltag und der sechsten Niederlage von seinem Traineramt entbunden. Bei Favre hat das tiefe Spuren hinterlassen.
Auch diese Erfahrung fließt jetzt bei der Entscheidung ein: Gehen auf dem Höhepunkt des Erfolgs? Oder dableiben und riskieren, in der kommenden Spielzeit eventuell abzustürzen? Im ersten Fall würde Favre zwar als quasi mythische Figur in die Vereinsgeschichte eingehen, es wäre aber auch der einfachere Weg. Nimmt er jedoch die Aufgabe an, mit neuen Spielern den alten Erfolg zu konservieren, und gelänge ihm das auch noch, dann wäre er wohl auf immer unsterblich am Niederrhein.
Das System Favre in Mönchengladbach auf Dauer zu etablieren, auch ohne Reus, ohne Dante, dazu noch möglicherweise das Experiment zu wagen, mit einer personell veränderten Borussia in der Champions League zu reüssieren - es wäre die bisher größte Herausforderung im Trainerleben des Lucien Favre. Sie wäre womöglich noch größer, als ein Star-Ensemble wie in München zu coachen. Sie wäre in jedem Fall reizvoller.