Spaniens EM-Helden Und sie werden noch besser
Spanien hat mit dem Sieg im Finale der Europameisterschaft bewiesen: Das erfolgsverwöhnte Team ist noch immer hungrig, will weitere Titel. Und ein Ende der Erfolgsserie ist nicht in Sicht - denn bei der WM in zwei Jahren sind fast alle spanischen EM-Helden im besten Fußballeralter.
Am Ende dieses für Spanien historischen Abends hatte Vicente del Bosque noch eine für die Welt fürchterliche Botschaft übrig. "Es gibt für uns noch so viele Herausforderungen", teilte der spanische Nationaltrainer vor der Presse mit und raubte damit der Konkurrenz sämtliche Illusionen, die spanische Überlegenheit könnte in der näheren Zukunft ihr Ende nehmen. Das Team, das Italien 4:0 im EM-Endspiel besiegt hatte, ist nicht nur das beste in Europa und der Welt. Es ist auch immer noch hungrig auf weitere Siege.
Vor diesem Turnier hatten viele die Dämmerung der spanischen Dominanz prophezeit. Gerade Deutschland schien reif zu sein, die Südeuropäer abzulösen. Nach dieser Europameisterschaft, in der Spanien in sechs Partien nur ein einziges Gegentor kassiert hat, muss man feststellen: Die Mannschaft von del Bosque ist dem Rest der Welt noch ein Stück weiter enteilt. Der Abstand zu den anderen Fußballnationen ist größer geworden.
Xavi, Andrés Iniesta und Co. haben bei dieser EM nicht immer geglänzt. Stattdessen haben sie sich das Beste für den Schluss aufbewahrt. Zwischendurch gab es auch vordergründig schlappe Auftritte: Gegen die starken Kroaten rettete man ein 1:0 über die Runden, gegen Portugal im Halbfinale musste das Elfmeterschießen herhalten. Trotzdem hat sich das Team dank seiner Eingespieltheit, seiner Erfahrung und seiner überragenden Einzelkönner aus engen Situationen letztlich immer souverän herausgewunden.
Mit dem Erreichen des Finals war dann offenbar auch der letzte Druck der Favoritenbürde verschwunden. Gegen die Italiener wirkte Spanien wie befreit. Statt des uninspiriert aussehenden Ballgeschiebes, wie es die Spanier in den Partien zuvor teilweise praktiziert hatten, waren die Angriffe gegen Italien von Anfang an zielstrebig. Passkombinationen dienten ausschließlich dem Zweck, am Ende eine Torschusssituation zu kreieren. Trotz der tapferen Gegenwehr der "Azzurri" fielen die Treffer von David Silva, Jordi Alba, Fernando Torres und Juan Mata fast zwangsläufig.
"Wir konnten nicht in jeder Partie so auftrumpfen. Das hätte uns bei einem solchen Turnier zu viel Energie gekostet", sagte del Bosque und erweckte damit den Eindruck, die Spanier hätten vor dem Endspiel bewusst manchmal das Tempo gedrosselt, um Kräfte für den Schlussakkord zu sammeln. Tatsächlich waren die Italiener nach einer Stunde mit ihren Reserven am Ende, während die Spanier noch frisch waren.
Die siegreiche Mannschaft wird bei der WM in zwei Jahren so gut wie unverändert weiterspielen können. Für Mittelfeldgenius Xavi wird die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien wohl der letzte große Auftritt werden. Er ist dann 34 Jahre alt. Aber alle anderen Leistungsträger sind dann noch immer im besten Fußballeralter. Dazu kommt der bei der EM verletzte Torjäger David Villa. Und wenn ein Fernando Torres zu Kurzeinsätzen eingewechselt und dann trotzdem noch Torschützenkönig des Turniers wird, dann erahnt man den Luxus, den del Bosque mit seinem Kader hat.
Als die Passmaschine im Endspiel so richtig in Gang gekommen war, ertappte man sich als Beobachter bei dem unzüchtigen Gedanken, dass es eventuell ganz gut gewesen sei, dass die deutsche Mannschaft schon im Halbfinale ausgeschieden war. Es ist spekulativ, wie die Elf von Bundestrainer Joachim Löw gegen del Bosques Team ausgesehen hätte. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass Deutschland dieser Mannschaft in der gegenwärtigen Verfassung hätte Entscheidendes entgegensetzen können.
Löw hat sich mit dem Spielstil seines Teams, mit der taktischen Ausrichtung und dem Schwerpunkt auf schnelles Kurzpassspiel stark an den Spaniern orientiert. Nach der so überzeugend absolvierten EM-Qualifikation hatte man das Gefühl, Coach und Team seien auf Spanien regelrecht fixiert.
Vergleicht man aber die Turnierauftritte des alten und neuen Champions mit denen der DFB-Elf, so bleibt der Eindruck eines noch unerreichten Originals. Deutschland kann Spanien (noch) nicht so imitieren, dass es den Welt- und Doppel-Europameister schlagen kann. Vielleicht sollten sie es auch gar nicht erst versuchen. "Es gibt mehrere Arten, erfolgreichen Fußball zu spielen", sagt del Bosque.
Mit dem Finalauftritt hat Spanien ein Zeichen gesetzt. Auch in zwei Jahren wird beim Kampf um den Titel an diesem Team kein Weg vorbei führen. Wer Weltmeister werden will, muss Spanien schlagen. Del Bosque warnt allerdings: "Der Weg dieses Teams ist ganz klar: Wir dürfen nicht nur über Brasilien 2014 reden. Wir müssen jetzt schon daran denken, was danach kommt." Das klingt wie eine schreckliche Drohung.