Neuer Fifa-Präsident Infantino Defensive. Konter. Tor?
Die Wahl von Gianni Infantino zum neuen Präsidenten verleiht der Fifa neue Hoffnung. Auf den Schweizer warten nun schwere Aufgaben - darunter die Aufklärung der WM-Vergaben nach Katar und Russland.
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Krisen historischen Ausmaßes sorgen immer wieder für überraschende Karrieren. So sucht der Aufstieg des in Funktionärskreisen blutjungen Schweizers Gianni Infantino, 45, vom Generalsekretär eines Kontinentalverbands (Uefa) zum Präsidenten des Fußball-Weltverbands Fifa in der Sportgeschichte seinesgleichen.
Es ging für die Fifa ums Überleben. Mit der Verabschiedung eines Reformpakets und der Wahl Infantinos zum neunten Präsidenten in 112 Jahren steigt nun die Hoffnung, diese Existenzkrise zu meistern.
Es wird auch künftig Enthüllungen über Korruption und andere Verbrechen durch Justizorgane und Medien geben. Weitere Funktionäre werden verhaftet werden, sich schuldig bekennen, wie viele zuvor, andere werden die Unschuldigen mimen und kämpfen. In einigen Wochen wird die Fifa ihren Finanzbericht vorlegen und die Umsatzerwartung im laufenden WM-Zyklus (2015-2018) um 550 Millionen Dollar (etwa 500 Millionen Euro) nach unten korrigieren.
Doch es wird auch gute Nachrichten geben für die Fifa, bald soll der erste große Sponsorenvertrag seit 2014 vermeldet werden. Und vielleicht erlebt der Verband tatsächlich mal wieder ein Jahr, in dem kein Vorstandsmitglied verhaftet wird.
Kein Revolutionär
Der neue Präsident ist kein Revolutionär. Gianni Infantino ist ein Kind des Systems - mit ähnlichem Hintergrund wie der Ex-Präsident. Er stammt aus dem Wallis, aus dem Nachbarort (Brig) von Blatters Heimat-Gemeinde Visp. Er hatte seinen ersten Job als Generalsekretär des von der Fifa finanzierten Internationalen Zentrums für Sportstudien (CIES) an der Universität Neuchâtel, bevor er zur Uefa wechselte. Dort hat er einige dubiose Vorgänge und unaufgeklärte Sachverhalte mit zu verantworten.
In etlichen Skandalen, ob nun Spielmanipulationen oder die fragwürdige Vergabe der Europameisterschaft 2012, trug die Uefa wenig zur Aufklärung bei, stellte sich die von Infantino geleitete Administration stets auf die Seite der in Bedrängnis gekommenen Top-Funktionäre. Während Vorstände in der Fifa oder in den amerikanischen Konföderationen Concacaf (Nord- und Mittelamerika) und Conmebol (Südamerika) reihenweise gesperrt und verhaftet wurden, während in Amerika das Department of Justice unbeirrt das kriminelle Fußballsystem durchleuchtet, sind die Europäer noch halbwegs sicher vor der Justiz.
Zu den wenigen Ausnahmen zählte der langjährige Uefa-Präsident Michel Platini, für den Infantino eigentlich den Fifa-Wahlkampf vorbereitet hatte - bis Platini gesperrt wurde und Plan B in Kraft trat. Plötzlich befand sich Infantino selbst in der Pole Position.
Der neue Präsident hat in Platinis Auftrag in den vergangenen Jahren wichtige Fifa-Reformen blockiert. Eine demokratische Grundhaltung aber kann man ihm nicht absprechen. Insofern sind alle Äußerungen, die die Wahl zwischen Infantino und dem favorisierten Scheich Salman Bin Ibrahim Al-Khalifa aus Bahrain als Wahl zwischen Pest und Cholera bezeichneten, ziemlicher Unsinn. Infantino ist das kleinere Übel. Im Vergleich zu Salman steht Infantino natürlich für Transparenz und Mitbestimmung.
Aufklärung der WM-Vergaben ein entscheidender Faktor
Die Zwangsverwalter der Fifa, die teuren Juristen aus den USA (Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan) und der Schweiz sowie die Justizorgane (US-Department of Justice, Schweizer Bundesanwaltschaft) haben in ihm einen akzeptablen Ansprechpartner. Aktuelle und potenzielle Fifa-Sponsoren haben sich ebenfalls ihn und keinen Scheich gewünscht, der sich gegen Vorwürfe von Korruption und Menschenrechtsverletzungen wehren muss - auch das hat die Wahl Infantinos beeinflusst.
Der steht nun im Rampenlicht. Er muss sich in Windeseile emanzipieren von zahlreichen Figuren aus dem Uefa-Umfeld. Er wird daran gemessen, ob er die Aufklärung der WM-Vergaben an Russland und Katar vorantreibt und ob er in Fußball-Europa dieselben Maßstäbe anlegt, die dank der Justiz in Amerika gelten und im dortigen Fußball-Establishment alles durcheinanderwirbelten. Europa, aber vor allem Asien und Afrika sind dagegen ein weitgehend unkontrolliertes Feld.
Neben dem Versprechen, zusätzliche Gelder an die Verbände auszuschütten, half Infantino auch, dass sich hinter ihm eine Minderheitsfraktion von aufrechten und unbelasteten Funktionären gesammelt und hart für seinen Sieg gearbeitet hat. Zu nennen wären etwa die Verbände aus Skandinavien oder der holländische Fußballboss Michael van Praag, der 2015 selbst zeitweise für die Fifa-Präsidentschaft kandidierte. Die Dringlichkeit, den Weltverband zu reformieren, gab ebenfalls einen entscheidenden Impuls für die Wahl eines Demokraten: Die Fifa lief bereits Gefahr, nach Schweizer Recht den Status eines Geschädigten zu verlieren.
Außerdem drohten aus den vielen Strafverfahren in den USA zahlreiche Zivilklagen. Wohl auch deshalb hat Infantino auf beiden amerikanischen Subkontinenten die Mehrheit errungen. Denn gerade dort stehen die Verbände und deren Vertreter durch ebendiese Verfahren unter enormem Druck. Auch aus Europa und Ozeanien gingen die meisten Stimmen an Infantino - wogegen Salman in Asien und Afrika vorn lag. Erst am Freitagmorgen wurde bekannt, dass die karibische Fußballunion CFU geschlossen für Infantino stimmen wollte. Last-Minute-Diplomatie vom feinsten.
Gigantische Chance für Infantino
Wichtige Unterstützung bekam der Schweizer außerdem im zweiten Wahldurchgang vom jordanischen Prinz Ali. Dieser hatte seine Gefolgsleute nach dem ersten Wahlgang aufgerufen, für Infantino zu stimmen. Ausgerechnet ein arabischer Prinz, der im vergangenen Jahr als Kompromisskandidat von der Uefa gegen Blatter unterstützt worden war, avancierte nun zum Königsmacher. In Asien hat Ali als Funktionär deshalb keine Zukunft.
Es gibt andere Gründe, viele kleine, manche große. Natürlich war Infantinos Lager - besonders durch die PR- und Strategieberater - professioneller. Mit dem alten Blatter-Trick, die Delegierten in einem halben Dutzend Sprachen anzureden, lässt sich Distanz abbauen. Es ist ein riesiges Puzzle, das Infantinos Crew besser zusammengesetzt hat als die Leute des Scheichs. Dessen Wahlkämpfern, allen voran der sonst so erfolgreiche Kuwaiti Husain Al-Musallam, der treue Diener des IOC-Scheichs Ahmad Al-Sabah, war der Schock ins Gesicht geschrieben.
Gianni Infantino hat eine gigantische Chance an der Spitze der Fifa: Er verlässt nun das beschauliche Nyon, wo allenfalls bei der Auslosung von Europas Klubwettbewerben im Rampenlicht stand. Die große Frage ist, ob er und seine Netzwerker eine Dauerbeleuchtung aushalten. Altlasten werden kaum verborgen bleiben können.
Zusammengefasst: Gianni Infantino bietet sich als neuer Fifa-Präsident eine große Chance - für sich selbst, aber auch für den Fußball-Weltverband. Gute Lobbyarbeit und die Dringlichkeit der nötigen Veränderungen und Reformen brachten ihm die Mehrheit der Delegierten. Das muss der Schweizer jetzt nutzen, um den nötigen Wandel herbeizuführen. Die Aufklärung vergangener Skandale sowie zukünftig mehr Transparenz werden dabei eine entscheidende Rolle spielen.