Boateng vor Abschied beim FC Bayern Auseinandergelebt
Nach sieben Jahren in München will Jérôme Boateng weg vom FC Bayern. Doch zwei Dinge zögern die Trennung künstlich hinaus.
Am Sonntagabend sah Jérôme Boateng nicht aus wie jemand, der sich verabschieden will. Sondern wie einer, der gar nicht mehr dazugehört. Gerade hatte der Verteidiger des FC Bayern München 45 Minuten gegen Manchester United absolviert, einem seiner möglichen neuen Arbeitgeber, da musste er an all diesen Journalisten vorbei, die mit fragenden Augen auf ihn warteten.
Stehen zu bleiben und sich zu erklären, das hätte aus Sicht Boatengs aber freilich nur dann Sinn ergeben, wenn er ein Dementi zu vermelden gehabt hätte: Ich fühle mich wohl in München und bei diesem Verein, ich werde meinen bis 2021 laufenden Vertrag erfüllen. Was Spieler in solchen Situationen eben sagen.
Doch da kam nichts. Boateng schritt schweigend, mit aufgesetzten Kopfhörern und mit auf das Handy gesenktem Blick durch die Interviewzone. Dann fuhr der Bus zurück ins Trainingslager nach Rottach-Egern.
Franck Ribéry zu Boateng-Transfergerüchten:
Eigentlich geht das schon seit Monaten so. Als Bayern-Spieler waren Boatengs Kommentare schon im Frühjahr immer kürzer ausgefallen und immer seltener geworden, stets schien er es irgendwie eilig zu haben.
Anders formuliert: Wäre es der Anspruch des 29-Jährigen gewesen, weiter Identifikationsfigur beim Rekordmeister zu sein, er hätte dafür nur den Bruchteil jener Zeit investieren müssen, die er in seine Social-Media-Accounts steckt.
Man hat sich auseinandergelebt
Der Weltmeister und Triple-Sieger von 2013 wird bald 30. Da ist es legitim, noch mal über einen Tapetenwechsel nachzudenken, bevor die Fußballerkarriere zu Ende geht. Außerdem hat sich beim FC Bayern die Großwetterlage geändert: Wo es geht, werden gerade jüngere Spieler eingebaut. Auch wenn Münchner Urgesteine wie Franck Ribéry sich im Konkurrenzkampf mit den Jungen noch einmal versuchen dürfen.
Doch der wahre Grund ist natürlich ein anderer, einer, der viele langjährige Beziehungen trifft: Man hat sich auseinandergelebt.
Schon im Herbst 2016 wurde deutlich, dass sich Karl-Heinz Rummenigge und Boateng nicht immer grün sind. Damals hatte der Vorstandschef den Verteidiger aufgefordert, mal wieder "back to earth" zu kommen und weniger an seine PR-Termine zu denken.
Eigen-PR betreibt Boateng immer noch recht viel, mittlerweile sind weitere Gründe dazugekommen. Der wichtigste: Boatengs Verletzungsanfälligkeit ist stark gestiegen. In der Saison 2017/2018 verpasste er insgesamt 21 Pflichtspiele. Zuletzt auch mal wegen einer Erkältung oder eines Magen-Darm-Infekts.
Angesichts der Tatsache, dass Boateng eigentlich ein gutes Marketing-Zugpferd ist, darf seine eingeschränkte Verfügbarkeit als Hauptgrund für das Auseinanderleben gelten. Umgekehrt sieht Boateng woanders bessere Möglichkeiten, sich selbst zu vermarkten.
Boatengs Hoffnung auf Tuchel
Unter gewissen Umständen wäre er womöglich sogar geblieben. Auffällig ist, dass er im Frühsommer zuerst mit jenem Trainer in Verbindung stand, der zuvor beim FC Bayern im Gespräch war: Thomas Tuchel von Paris Saint-Germain.
Mit Carlo Ancelotti hatte sich Boateng überworfen. Und umgekehrt. An jenem denkwürdigen Champions-League-Abend, nach dem Ancelotti beurlaubt wurde, saß Boateng nur auf der Tribüne (übrigens beim Auswärtsspiel in Paris). Später, unter Jupp Heynckes, sagte er, jetzt sei wieder "Zug drin" im Training. Doch bekanntlich blieb Heynckes nicht, und Tuchel sagte ab. Mit Boateng aber soll er schon seit Längerem in Kontakt stehen.
Problem Financial Fairplay
Es gibt nur ein Problem: PSG hat die Uefa im Nacken. Nach den Verpflichtungen von Neymar (222 Millionen Euro) und Kylian Mbappé läuft der katarisch geführte Klub Gefahr, im Zuge der Financial-Fairplay-Regelung empfindliche Strafen zahlen zu müssen, oder viel schlimmer noch: von Wettbewerben ausgeschlossen zu werden.
Für die Saison 2017/2018 darf die Bilanz ein Minus von 30 Millionen Euro aufweisen, allerdings muss sie über einen Dreijahreszeitraum hinweg ausgeglichen sein. Da wird jede weitere Verpflichtung zum Spiel mit dem Feuer.
Die zweite Schwierigkeit: Plan B wäre für Boateng, nach England zu gehen, wo er zwischen 2010 und 2011 auch schon spielte. Dort aber endet die Transferfrist am kommenden Donnerstag. Verkompliziert wird die Situation noch dadurch, dass Boateng bei Manchester United auch nur Plan B sein soll.
Am Montag, im Trainingslager am Tegernsee, zeigte Boateng eine hohe Trainingsintensität, er schrieb viele Autogramme. Trainer Niko Kovac sagt, er hoffe, dass der Routinier ihm erhalten bleibe. Aus gutem Grund: Wenn Boateng geht, hat Kovac gerade mal so viele Innenverteidiger wie Torhüter im Kader, nämlich drei - und das auch nur, wenn man Javi Martínez dazuzählt.
Schwer vorstellbar, dass die Bayern ein solches Risiko eingehen, oder schon jetzt auf den 18-jährigen Lars Lukas Mai als Backup setzen. Wahrscheinlicher ist, dass in den kommenden Tagen in Sachen Innenverteidiger noch ein internationaler Dominoeffekt auftritt. Ausgelöst von Boateng, der noch warten muss.