Zwei Thesen zum Sieg gegen Ägypten Sorry, Russland - wir lagen falsch
Nach dem 5:0 gegen Saudi-Arabien hieß es bei SPIEGEL ONLINE: Russland wird trotzdem in der Vorrunde ausscheiden. Das müssen wir korrigieren - wir haben den WM-Gastgeber unterschätzt. Zwei Thesen zum Ägypten-Spiel.
1. Russland ist spielerisch stärker als viele andere Teams
In unserer Analyse des russischen Auftaktspiels gegen Saudi-Arabien hatten wir trotz des deutlichen 5:0-Siegs das Ausscheiden des WM-Gastgebers in der Vorrunde prognostiziert. Nach dem zweiten Spiel sieht es nicht mehr danach aus. Russland hat Ägypten 3:1 geschlagen, steht kurz vor dem Erreichen des Achtelfinals - und hat uns eines Besseren belehrt.
Nach Russlands WM-Auftakt hieß es bei SPIEGEL ONLINE: "Vor allem in Hälfte eins wurden die Problemzonen offensichtlich - sie befinden sich im Zentrum des Spielfelds." Wir monierten das wenig kreative Vorgehen im Spielaufbau und die Nichtbesetzung des Zehnerraums. Interessanterweise tauchte gegen Ägypten häufig der großgewachsene Angreifer Artem Dzyuba (Rückennummer 22, siehe Passgrafik) genau dort auf.
Dzyuba, der gegen Saudi-Arabien eingewechselt wurde und das 3:0 erzielte, war gegen Ägypten der Zielspieler für lange Bälle. Und das nicht nur im Strafraum.
Russland spielte zwar weiter vor allem über die Außen und flankte gerade zu Beginn auffällig häufig in den Strafraum. Es war aber eine neue Variante mit dem robusten Angreifer als Ankerpunkt auch außerhalb des Sechzehners, die zum Erfolg führte. Dzyuba band Gegenspieler, sicherte und verteilte Bälle und wurde nach der Pause immer wichtiger. Bei seinem Tor in der 62. Minute zeigte er zudem seine technischen Fertigkeiten.
Was zudem herausstach: Alle drei Treffer der Russen fielen aus dem Spiel heraus. Das steht im Kontrast zur bisherigen Tendenz bei der WM. Das 1:0 durch ein Eigentor diente als Starthilfe, in der Folge erzielte die Sbornaja zwei sehenswerte Treffer innerhalb von drei Minuten. Das Problem: Der Gegner des Gastgebers im Achtelfinale würde ziemlich sicher Spanien oder Portugal heißen - beide sind auch für das aktuell starke Russland eine kaum lösbare Aufgabe. Aber wir haben uns schon einmal getäuscht.
2. Mehr Risiko - der zweite WM-Spieltag wird spektakulärer
Der erste Spieltag war schon vor Russlands zweiter Partie abgeschlossen. Davor gab es in den ersten 16 Partien insgesamt 38 Tore, drei Remis und kein 0:0. Dafür aber neun Elfmeter. Und doch: Der erste Gruppenspieltag war ein eher zäher Start in die WM 2018. Der Grund: Die wenigsten Teams gingen ein großes Risiko spielerischer Art ein. So hatten etwa zur Pause nur Russland (Halbzeitstand: 2:0 gegen Saudi-Arabien) und Portugal (Halbzeitstand: 2:1 gegen Spanien) mehr als einen Treffer erzielt.
Nun aber gesellt sich zu Spielsystem und Taktik das hinzu, was den Fußball erst richtig interessant macht: der Zwang, zu punkten. Teams, die das erste Spiel verloren haben, müssen ihre zweite Begegnung erfolgreich (und damit auch offensiver) gestalten, um ein frühes Turnier-Aus zu verhindern. So gab Ägypten gegen die favorisierte Sbornaja schon vor der Pause fünf Torschüsse ab. Durch die offensivere Spielanlage ergeben sich fast zwangsläufig mehr Räume für Konterfußball. Wie man diese nutzt, wissen die meisten Teams.
Volle Offensive und komplettes Vernachlässigen der Defensive wird es in den anstehenden Spielen natürlich weder von Deutschland oder Polen noch von Außenseitern wie Iran, Australien, Peru oder Panama geben. Eine deutliche Steigerung in Sachen Tempo, Torchancen und Dramatik ist allerdings sehr wahrscheinlich.