Mexikos Erfolg gegen den Weltmeister "Wo sind die Deutschen, die sagten, dass sie uns schlagen?"
"... und ich dachte, wir gehen kämpfend unter": Fußballfans in Mexiko können noch nicht fassen, was ihr Team da geleistet hat - den Weltmeister geschlagen! Der Jubel über das 1:0 löste sogar ein kleines Erdbeben aus.
Am Ende des Spiels war es ein atemloser, kurzer Schrei der Freude. Es folgten "México, México"-Rufe, dann fiel Mexiko-Stadt erst einmal wieder in die Totenstille, die über der 20-Millionen-Metropole während der 90 Minuten des WM-Spiels zwischen Deutschland und Mexiko gelegen hatte.
Sie wurde nur unterbrochen von dem Jubelausbruch, als Hirving Lozano in der 35. Minute das Siegtor für Mexiko erzielte und die Freudensprünge sogar ein kleines Erdbeben auslösten. Das Institut für geologische und atmosphärische Forschung (SIMSSA) von Mexiko-Stadt maß um 11.32 Uhr ein kleines Freudenbeben. Mindestens zwei Sensoren hätten ausgeschlagen, als das Tor im fernen Moskau fiel, teilte das Institut über Twitter mit.
Aber nach dem Abpfiff schien es so, als müssten die Mexikaner erst einmal begreifen, was da gerade passiert war: 1:0-Sieg gegen den Weltmeister und überhaupt das erste Mal, dass Mexiko in einem offiziellen Spiel gegen Deutschland gewinnen konnte. "Ich bin glücklich, aber ich kann es noch nicht fassen", sagt Santiago Martínez, 15 Jahre alt und riesiger Fußballfan. Sein ganzes Leben hat er auf diesen Tag warten müssen.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis sich die Mexikaner von ihrer Freudenstarre erholten und zu Tausenden an die typischen Feierplätze der Stadt strömten: Auf dem Zócalo, dem großen Hauptplatz im Herzen der Metropole, hatten Zehntausende auf riesigen Leinwänden das Spiel verfolgt. Auch dort dauerte es einen Moment, bis die Menschen realisierten, was gerade passiert war.
Am "Angel", dem großen Kreisverkehr auf der Prachtstraße Reforma, brachten freudentrunkene Fans den Verkehr zum Stillstand. Sie hüpften, schwenkten Mexiko-Fahnen und sangen: "Wo sind die Deutschen, die sagten, dass sie uns schlagen."
Alejandro Meixueiro, 31, im weißen Trikot der Nationalmannschaft, sagte: "Ich bin einfach nur glücklich. Wir haben heute bewiesen, dass wir können, wenn wir wirklich wollen." Niemand habe an das mexikanische Team geglaubt. "Die möchte ich jetzt mal hören", kritisierte er seine eigenen Landsleute.
Die 24 Jahre alt Sara Valdéz war mit ihrem Freund "einfach aus Stolz" zum "Angel" gekommen. "Ich bin kein großer Fußballfan, aber ich freue mich einfach nur darüber, wie gut die Mannschaft gespielt hat, wie sie dagegengehalten hat." Victor Meza war mit Tochter und Frau gekommen und sagte: "Es ist genial, wir haben gezeigt, dass wir Herz und Biss haben." So werde Mexiko endlich mal weit kommen bei einer WM.
Viele Menschen feierten in Restaurants oder zu Hause in großem Familienkreis, am Sonntag war auch noch Vatertag in Mexiko. Den ganzen Tag über fuhren die Menschen feiernd, singend und hupend durch die Stadt. Diese Bilder wiederholten sich im ganzen Land. Und Straßenverkäufer freuten sich über reißenden Absatz bei mexikanischen Flaggen und kleinen Nachbildungen des WM-Pokals.
Auch in den sozialen Netzwerken dauerte es, bis die typischen Memes auftauchten. Ein User schrieb über den Kurznachrichtendienst Twitter: "Macht keinen Quatsch, für diesen Fall hatten wir keine Witze vorbereitet." Später tauchten Fotos von Mexikos Torhüter Guillermo Ochoa auf, die mit dem Satz überschrieben waren: "Die einzige Mauer, für die Mexiko bezahlt."
Auch die mexikanischen Zeitungen schienen nicht glauben zu können, dass und wie Mexiko diese Partie gegen Deutschland gewonnen hatte. Die Sportzeitung "Récord" zeigte ein Foto von Javier "Chicharito" Hernández nach dem Schlusspfiff, wie er sich die Hände vors Gesicht schlägt und titelte dazu: "Die Tränen des Ruhms."
Der Fußballfan und Schriftsteller Antonio Ortuño sagt dem SPIEGEL: "Ich habe das bis zum Ende nicht geglaubt. Ich kann es noch immer nicht. Ich dachte, wir gehen kämpfend unter." Für die Mexikaner sei Deutschland "Paradebeispiel von Solidarität und Vertrauen, während wir chaotisch sind und uns im Fußball und eigentlich allem Deutschland gegenüber als Amateure fühlen." Es sei so, als hätte der Schüler, der nie lernt, bessere Noten bekommen als der strebsame Schüler, sagt Ortuño, der kommenden Monat in Berlin eine einjährige Schreibresidenz beginnen wird. "Jetzt gehe ich mit einer fast unverschämten Freude."