Bahnradsport in Deutschland Die Kurve nicht gekriegt
Bahnräder, "Fixies", haben die Straßen erobert, ihre sportliche Heimat tut sich jedoch schwer: Der Bahnradsport in Deutschland steckt in der Krise. Auch im Nationalteam wird der Unmut immer größer.
Das steile Holzoval, auf ihren Rädern kauernde Fahrer, das Geräusch, wenn sie sich mit 60 Stundenkilometern und mehr jagen - der Reiz des Bahnradsports ist zeitlos. Aber er ist zu wenig, um auch die sportliche Zukunft zu sichern.
In Deutschland lebt der Sport heute vor allem von den Erinnerungen, etwa an den Gold-Vierer aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, an die Verfolger nach der Wende und auch an den bisher letzten Olympiasieg im Jahr 2000, als Guido Fulst, Roberto Bartko, Jens Lehmann und Daniel Becke in Sydney zu Gold fuhren. Glorreiche Zeiten, die sie in Deutschland nur zu gerne beschwören.
Doch der Bahnradsport droht nach deprimierenden Jahrzehnten in der Versenkung zu verschwinden. Für eine langfristig erfolgreiche Zukunft müsste der Sport wieder populär gemacht werden. Eine große Aufgabe, die der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) nicht zu bewältigen scheint. Also nehmen andere das Schicksal ihres Sports in die Hände.
Christian Grasmann zum Beispiel. In einer kleinen Gemeinde in Oberbayern gründete er vor elf Jahren den RSV Irschenberg. Zwei Jahre später schuf er ein professionelles Bahnradteam, mit einem klare Konzept: Die Fahrer der "Maloja Pushbikers" sollen das Image zwischen Nostalgie und Rebellion nach Außen tragen. Gleichzeitig sollen sie im Verein den Nachwuchs für die Bahn begeistern.
"Was wir machen, wird vom Verband eher belächelt"
Grasmann setzt bei der Vermarktung auf starke Bildsprache und soziales Marketing. Die Ideen holt er sich aus dem Musikbusiness, vom Fußball, dem Deutschen Skiverband. Was der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) davon hält? Nicht viel. "Was wir machen, wird vom Verband eher belächelt, weil wir ja nicht der ganz große Sport sind", sagt Grasmann. Er beklagt gar eine Blockadehaltung seitens des BDR: "Die Führung lässt nicht zu, dass Bahnradfahren ein sympathischer Sport wird."
Der Verband wiederum weist die Vorwürfe der fehlenden Initiative zurück: "Unser Präsident Rudolf Scharping steht permanent mit der Industrie in Kontakt und wir haben eine Vermarktungsagentur, die ebenfalls sehr aktiv ist", heißt es auf Anfrage des SPIEGEL.
Tatsächlich aber hat der BDR in der Vergangenheit immer wieder Chancen liegengelassen. Etwa, als Puristen die Bahnräder auf die Straße holten und sich die sogenannten Fixies, Rennräder mit starrem Gang, ohne Leerlauf und ohne Rücktrittbremse, zum Lifestyle-Accessoire entwickelten. Radkuriere tragen ihre eigenen Weltmeisterschaften aus. Auch der Jedermann-Trend schwappt auf die Bahn über.
Die Zuschauerzahlen gingen aber selbst bei den Sechstagerennen in Berlin und Bremen stark zurück - bis sich auch diese traditionsreichen Sportsausen für ein junges Publikum modernisierten.
Immerhin: Nachdem mit dem Vierer selbst die Qualifikation für die Sommerspiele 2008 in Peking und 2012 in London nicht mehr gelang, greifen inzwischen die eingeleiteten Reformen. Doch ausgerechnet in jenem Team, das den Vierer 2016 wieder zu Olympia gefahren hat, regt sich Unmut. Sie beklagen unprofessionelle Strukturen, fehlende Anerkennung, mangelnde Perspektiven.
"Es kann doch nicht sein, dass wir jedes Jahr bis zum letzten Tag auf unseren neuen Vertrag warten müssen", sagt Theo Reinhardt, Teil des Vierers von Rio. Schließlich seien auch die Plätze in der Sportfördergruppe an das Team rad-net Rose gekoppelt, in dem der BDR seine Elite zentralisiert. Dazu müsse man um kleinste Dinge wie einen Ersatz für eine gerissene Hose kämpfen - oder bekäme gleich gar keine Antworten zu unterschiedlichen Anfragen, weil Ansprechpartner fehlten. "Auf dem Niveau, auf dem wir unseren Sport betreiben sollen, darf das einfach nicht sein."
Der Verband teilte dazu mit, er vermisse konstruktive Ansätze: "Der BDR, seine sportliche Führung und das Präsidium sind immer offen für Anregungen und Kritik." Das Gefühl hat Reinhardt nicht, schließlich seien die Probleme nicht neu: "Von den Verantwortlichen hat noch nie jemand einen Schritt auf uns zu gemacht."
Dass einzelne Fahrer wie Kersten Thiele dem Team oder Nachwuchshoffnung Bastian Flicke sogar dem Sport den Rücken gekehrt haben, habe auch damit zu tun, "dass sie unter diesen Voraussetzungen ihren Sport nicht betreiben wollen". Es selbst möchte auch die Mission Tokio 2020 angehen, "aber nicht um jeden Preis".
Wenn also selbst die Elite ernüchtert auf ihre einstige Passion blickt, was bleibt dem Verband dann noch als Motivation für den Nachwuchs?
Eine Antwort darauf gibt Reinhardts Nationalmannschaftskollege Henning Bommel. Mit seinem Projekt radsport.land will er die Nachwuchsarbeit in den Vereinen unterstützen. Neben dem Training hat er Sponsoren akquiriert, Foto- und Filmshootings organisiert und Trikotsets gestaltet. Er wendet sich an die Fixie-Freunde, die Jedermänner und -frauen, verkauft ihnen sein Anliegen und seine Trikots.
Bommel spricht von einem Boom, davon, dass der Radsport längst in der Gesellschaft angekommen sei - und fordert vor allem die richtige Einstellung: "Wir sollten aufhören zu jammern, dass den Sport keiner unterstützen will, und einfach mal loslegen."
Um sein junges Projekt bekannter zu machen, lädt der mehrfache WM-Medaillengewinner bei Messen und Meisterschaften zum Kennenlernen. Im Sommer tourte er in sieben Etappen durch Deutschland. 25.000 Euro kamen so im vergangenen Jahr zusammen. Bommel gibt das Geld an engagierte Vereine mit eigenen Visionen für die Zukunft weiter.
"Weil es wichtig ist", schreibt er auf der Homepage des Projekts. Ein Projekt übrigens, das in seiner Grundstruktur ursprünglich für das rad-net-Rose-Team entwickelt wurde - bis Verband und Teamleitung den Stecker zogen.