Buch über Lance Armstrong Skrupellos und ohne Reue
Was steckt hinter den Dopingbeichten von Lance Armstrong? Ein neues Buch zeigt, wie wenig ernst es dem Ex-Radsporthelden mit der Reue ist. Offenbar glaubt der immer noch, dass die Geschichte ihn irgendwann als großen Champion rehabilitieren wird.
Es herrscht derzeit eine Inflation an Lance-Armstrong-Literatur in den USA. Es ist, als wolle die amerikanische Öffentlichkeit mit Macht nachholen, was sie allzu lange versäumt hat. Bis vor eineinhalb Jahren war der Radrennfahrer in den USA praktisch unantastbar, ganz gleich, was die Medien in Europa schrieben. Nun macht sich ein Journalist nach dem anderen daran, die Geschichte des vielleicht bislang größten Sportbetrugs aller Zeiten aufzuschreiben.
Vieles von dem, was da zu lesen ist, ist dem aufmerksamen Beobachter längst bekannt. Was etwa der "Wall Street Journal"-Reporter Reed Albigotti in seinem Buch über "Armstrong and the greatest sports conspiracy ever" zusammengetragen hat, war in groben Zügen schon nach dem Enthüllungsbuch des Iren David Walsh von 2004 bekannt. Nur, dass es nach der Untersuchung der US Anti-Doping-Behörde Usada nun auch aktenkundig ist.
Auch das beinahe 400 Seiten starke Werk der "New York Times"-Reporterin Juliet Macur, das in der vergangenen Woche in die Buchläden kam, deckt nicht im Detail auf, wer etwa die Hintermänner von Armstrongs Dopingnetz waren. Es belegt auch nicht hieb- und stichfest, dass Armstrong von den Verantwortlichen des Radsportverbandes UCI gedeckt wurde. Diese Dinge werden wohl erst herauskommen, wenn Armstrong in einem seiner Schadensersatz-Prozesse unter Eid aussagen muss.
Dennoch ist Macurs Buch ein bemerkenswertes Stück Journalismus.
Die Sportredakteurin der "Times" zeichnet ein detaillierteres Bild von Armstrongs Leben und Persönlichkeit, als es das je zuvor gab. Sie hat Quellen aufgetan, die vorher nicht einer breiten Öffentlichkeit zugänglich waren und die den gesamten Komplex deutlich greifbarer machen, als er das bislang war.
Eine der überraschendsten Entdeckungen Macurs ist die Figur des JT Neal, der vielleicht wichtigste Mentor Lance Armstrongs in frühen Jahren. Neal war Trainer und Ersatzvater in einem für Armstrong, nachdem dieser mit knapp 17 Jahren seiner zerbrochenen Familie entflohen und nach Austin gezogen war. Neal starb im Jahr 2002 an Krebs, völlig entfremdet von Armstrong, der im Rausch seines Nationalheldentums keine Zeit mehr für den alten Wegbegleiter fand. Der Mann, der den Krebs besiegte, ließ seinen einst besten Freund im Stich, als dieser von der Krankheit heimgesucht wurde.
Der verbitterte Neal hinterließ 26 Stunden an Tonbandaufzeichnungen über Armstrong, die Macur sich anhören durfte. In den Aufnahmen beschreibt Neal unter anderem, wie früh und wie tief Armstrong in die branchenüblichen Dopingpraktiken verstrickt war.
"Schmaler Grat zwischen Sieg und Tod"
Alle Anzeichen deuten daraufhin, dass Armstrong bereits 1990 in der Juniorennationalmannschaft regelmäßig gedopt hat. Nationaltrainer damals war sein späterer Privattrainer Chris Carmichael, der von mehreren Fahrern jener Epoche beschuldigt wird, der Mannschaft Kortison und Amphetamine verabreicht zu haben.
Ganz sicher ist nach Macurs Recherchen, dass Armstrong von seinem ersten Profijahr 1992 an systematisch gedopt hat. Laut den Ausführungen von Neal wurde Armstrong damals eng von dem Physiotherapeuten John Hendershot betreut, der im Profizirkus notorisch dafür bekannt war, illegale Substanzen in rauen Mengen zu verabreichen. "Wir bewegen uns auf einem schmalen Grat zwischen Sieg und Tod", sagte Hendershot damals.
Laut Neal hatten sich in Hendershot und Armstrong zwei Gleichgesinnte gefunden. Beide hatten nicht die geringsten Skrupel, alle Mittel einzusetzen, die zu bekommen waren. Schon in diesen Jahren hat Armstrong eine Abhängigkeit von Dopingmitteln der verschiedensten Art entwickelt. Und als um dieselbe Zeit Epo im Peloton auftauchte, war er einer derjenigen, die bei seiner damaligen Mannschaft darauf drängten, das neue Wundermittel einzusetzen.
Die Mentalität des Gewinnenwollens um jeden Preis war damals bereits tief in Armstrongs Psyche verankert. Und das ist sie offenbar noch immer.
Zu den am schwersten verdaulichen Kapiteln des Buches gehört die Beschreibung von Macurs Besuch bei Armstrong im vergangenen Sommer, unmittelbar nach seinem Geständnis.
Wer nach dem Auftritt in der Talkshow von Oprah Winfrey glaubte, Armstrong sei tatsächlich zu so etwas wie Reue fähig, wird hier eines Besseren belehrt. Armstrong ergeht sich gegenüber Macur in endlose Hasstiraden gegen alle, die sich gegen ihn verschworen haben, indem sie seine Lügen aufgedeckt haben. Und er glaubt noch immer, dass die Geschichte ihn irgendwann als den großen Champion rehabilitieren wird, der er noch immer zu sein glaubt.