Basketballstar Dirk Nowitzki "Mich treibt das schlechte Gewissen an"
Dirk Nowitzki hat den Basketball verändert: Ein 2,13-Meter großer Spieler mit einem sicheren Distanzwurf - das gab es in der NBA vorher nicht. Im Interview erzählt der Superstar von seinem schwierigen Start in Dallas und beschreibt, wie ihn der amerikanische Lebensstil geprägt hat.
"Ein guter Basketballer dürfte normalerweise nie links oder rechts vorbeiwerfen, sondern nur zu lang oder zu kurz": Als im Interview die Frage nach seiner großen Stärke kommt, wirkt Dirk Nowitzki wie verwandelt. Gerade saß er noch lässig in einem Sessel eines Kölner Luxushotels, jetzt steht der 2,13-Meter große Mann auf, streckt sich und demonstriert die Bewegung, die er schon millionenfach gemacht hat und mit der er zum Superstar in der NBA wurde.
26.786 Punkte - damit zählt der 36-Jährige zu den zehn erfolgreichsten Spielern der NBA-Geschichte. Vor drei Jahren gewann Nowitzki die Meisterschaft mit den Dallas Mavericks, er wurde als bester Spieler der US-Profiliga ausgezeichnet und war 2008 in Peking Fahnenträger der deutschen Olympiamannschaft.
Ein Dokumentarfilm zeigt nun die Höhepunkte der Karriere des besten deutschen Basketballers ("Der perfekte Wurf", Kinostart: 18. September). Im Interview erzählt Nowitzki, wie sich ein perfekter Wurf anfühlt und warum er auf der Couch an Kobe Bryant denken muss.
SPIEGEL ONLINE: Vor 15 Jahren hatten Sie große Probleme, in der NBA anzukommen. Sie wurden ausgebuht, die Amerikaner verspotteten Sie als "Irk", als einen Spieler ohne Verteidigung. Wie hat Sie diese schwierige Anfangsphase geprägt?
Nowitzki: Die ersten Jahre waren extrem wichtig. Dass ich mich da durchgekämpft habe, dass ich hart geblieben bin. Es wäre leicht gewesen, nach Deutschland zurückzugehen. Aber ich wollte mich durchbeißen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben überlegt, aufzugeben?
Nowitzki: So richtig die Zelte abbrechen wollte ich nie, aber ich hatte Zweifel: Bist du schnell genug für die NBA, bist du athletisch genug, bist du gut genug? Es war dann wichtig, dass ich ein paar gute Spiele hatte, es gab auch richtig schlechte.
SPIEGEL ONLINE: Woran lag es?
Nowitzki: Es war schwer, Leistung zu bringen, weil ich mich außerhalb des Spielfeldes nicht wohlgefühlt habe. Ich konnte die Sprache nicht hundertprozentig, habe nicht alles verstanden, ich wohnte das erste Mal alleine. Das war ein verdammt hartes Jahr.
Nowitzki: Ich hatte Glück mit dem Trainer. Don Nelson ist eher ein Freidenker, er hat anders gedacht als die restlichen 29 Trainer in der Liga. Die hätten mich als 2,13-Meter-Mann da nicht von außen rumwerfen lassen. Teilweise hatte ich die Freiheit, selbst den Ball nach vorne zu dribbeln und von der Dreierlinie abzuschließen. Nelson hat mich nicht vier Stunden in den Kraftraum gesetzt und gesagt, du musst richtig Masse aufbauen. Er hat das Gegenteil gemacht, gesagt, ich soll meine Schnelligkeit nutzen, und hat mich weiter vom Korb weggestellt. Das kam mir entgegen.
SPIEGEL ONLINE: Wann haben Sie gemerkt, dass Sie auf einem Level mit den Superstars LeBron James und Kobe Bryant spielen?
Nowitzki: So habe ich mich nie gesehen. Ich wollte das Spiel studieren. Ich habe zu meinem Mentor Holger Geschwindner gesagt: Hey, diesen Sommer müssen wir wieder was draufpacken, wir müssen was Neues lernen, ich will nicht stehen bleiben. Mich hat immer das schlechte Gewissen angetrieben. Ich wusste: Kobe Bryant sitzt in Los Angeles auch nicht auf der Couch. Dann bin ich wieder in die Halle.
SPIEGEL ONLINE: Wann waren Sie nach Ihrer eigenen Wahrnehmung der Anführer des Teams?
Nowitzki: Das war nach der Saison 2003/2004. Mein Rookie-Vertrag war ausgelaufen, Klubbesitzer Mark Cuban kam zu mir und sagte: "Ich gebe dir den maximal möglichen Vertrag über sechs Jahre. Du bist jetzt unser wichtigster Spieler." Es war eine Ehre, aber auch eine Riesenverantwortung. So viel Geld. Der Druck, immer konstanter Leistung zu zeigen. Ich wollte unbedingt Cubans Vertrauen zurückzahlen.
SPIEGEL ONLINE: Herr Nowitzki, Sie haben fast Ihr halbes Leben in den USA verbracht. Was sehen Sie noch als typisch deutsch an bei sich? Und was ist amerikanisch?
Nowitzki: Deutschland hat mich in den ersten 20 Jahren meines Lebens geprägt. Die Disziplin, der Arbeitswille, diese deutschen Tugenden kommen von meinen Eltern. Dass mein Vater früh um 5 Uhr aufgestanden ist und in seine Malerfirma gegangen ist: Das hat mich geformt.
SPIEGEL ONLINE: Und das Amerikanische?
Nowitzki: Was ich hier sehr, sehr mag ist das Easy Life. Klar, wenn du in New York, Washington oder L.A. bist, ist viel los. Aber in Dallas ist das Leben relaxt, das passt besser zu meiner Mentalität.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind 1999 aus dem beschaulichen Würzburg in die Metropole Dallas gezogen, die neuntgrößte Stadt der USA. Wie war das?
Nowitzki: Am Anfang war es sehr schwer. In den ersten beiden Saisons wusste ich nicht, ob ich dort leben will. Ich kannte mich nicht aus, habe mich ständig verfahren. Würzburg hat 130.000 Einwohner, Dallas 1,2 Millionen. Es hat gedauert, bis ich mich eingelebt hatte. Mittlerweile geht es, nach fast 16 Jahren und mit Freunden und Familie fühle ich mich in Dallas sehr wohl.
SPIEGEL ONLINE: Würden Sie sagen, der amerikanische Lebensstil und die deutschen Tugenden sind zusammen ein ganz annehmbares Gemisch?
Nowitzki: Hört sich ganz gut an.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben Ihre komplette Karriere in Dallas verbracht. Das spricht ja auch für das Deutsche in Ihnen, diese Loyalität. Haben Sie früh gemerkt, dass Dallas der Klub ist, bei dem Sie bleiben?
Nowitzki: Das hat sich entwickelt. Als ich 1999 nach Dallas kam, waren die Mavericks kein guter Verein. Am Ende meiner zweiten Saison hat Mark Cuban die Mannschaft übernommen, und der war mein größter Fan. Egal, was ich gemacht habe, auf dem Spielfeld, außerhalb: Er stand immer zu mir. Als es 2010 wieder um die Vertragsverlängerung ging, war ich 30. Cuban sagte: "Eigentlich kannst du nicht weg, wir haben hier was angefangen, wir wollen eine Meisterschaft zusammen gewinnen, und du kannst jetzt nicht einfach weg."
SPIEGEL ONLINE: Er appellierte an Ihr Gewissen.
Nowitzki: Erfolgreich. Wir saßen auf seiner Couch, und ich sagte schließlich: "Du hast recht! Das würde sich überhaupt nicht richtig anfühlen, wenn ich woanders hingehe." Gleich im ersten Jahr haben wir dann die Meisterschaft gewonnen.
SPIEGEL ONLINE: Für Spielsysteme können Sie sich wenig begeistern, haben Sie mal gesagt. Ihnen sei wichtig, dass Sie möglichst oft den Ball haben und werfen können.
Nowitzki: Das stimmt. Taktik ist nicht so mein Ding. Wenn ich mir ein Basketballspiel anschaue, sitze ich nicht zu Hause und denke: "Oh, jetzt laufen sie das System", sondern ich schaue: "Kann der gut dribbeln, kann der eine Bewegung, kann der gut werfen?" Mich interessiert das individuelle Spiel mehr als die Mannschaftstaktik.
SPIEGEL ONLINE: Sie selbst haben den Basketball verändert: Ein sehr großer Spieler, der sicher von außen trifft - das gab es vorher nicht. Würden Sie Ihren Wurf als perfekt bezeichnen?
Nowitzki: Es gibt ein paar, die fühlen sich perfekt an.
SPIEGEL ONLINE: Wie genau fühlt sich ein perfekter Wurf an?
Nowitzki: Wenn alles in einem Wurf zusammenkommt, was ich seit meinem 15. Lebensjahr gelernt habe. Aber es ist komisch: Ich habe schon ein paar Millionen Würfe mit Holger Geschwindner genommen, und trotzdem schleichen sich noch heute Fehler ein, wenn er mal einen Monat nicht da ist. Und selbst korrigieren kann ich die dann nicht, es wird eher immer schlimmer.
SPIEGEL ONLINE: Und dann?
Nowitzki: Dann kommt Holger nach Dallas, und wir arbeiten daran, die Fehler abzustellen.
SPIEGEL ONLINE: Welche Fehler sind das konkret?
Dirk Nowitzki steht auf, streckt seine Arme über den Kopf und spreizt die Finger zu einem V. Er demonstriert, wie er mit Zeige- und Mittelfinger den Korb anvisiert.
Nowitzki: Ein guter Basketballer dürfte normalerweise nie links oder rechts vorbeischießen, sondern nur zu lang oder zu kurz werfen. Die letzten zwei Finger, die den Ball berühren, sind Zeige- und Mittelfinger. Die sind wie ein Gleis. Das Atmen beim Wurf ist auch wichtig, man sollte einatmen und nicht die Luft anhalten. Oder die Beinstellung, X-Beine. Die Augen sollen den Ring fixieren.
SPIEGEL ONLINE: Nur die ganz großen Spieler werden mit dem Vornamen genannt. Kobe, Shaq, Michael, LeBron. Und Sie. Ist es diese Perfektion, die die Amerikaner fasziniert?
Nowitzki: Mein Ziel war immer, so perfekt, so effizient wie möglich zu spielen. Es war nie mein Ziel, 30-mal zu werfen, um 25 Punkte zu machen. Selbst wenn ich nur 20 Punkte mache, aber eine gute Quote habe und die Mannschaft gewinnt, war mir das immer lieber.
SPIEGEL ONLINE: Seit 2011 haben Sie nicht mehr in der Nationalmannschaft gespielt. Haben Sie die erfolgreiche EM-Qualifikation verfolgt?
Nowitzki: Nicht alle Spiele. Ein paar habe ich gesehen, zum Beispiel den Sieg in Österreich. Da haben die Jungs sich im vierten Viertel zurückgekämpft, nach zehn Punkten Rückstand.
SPIEGEL ONLINE: Der DBB bewirbt sich um die Austragung der EM im kommenden Sommer. Ein Turnier im eigenen Land würde Sie reizen, haben Sie gesagt. Wann entscheiden Sie, ob Sie dabei sind?
Nowitzki: Ich habe dem DBB gesagt, dass ich absolut Interesse habe, dabei zu sein. Aber wir müssen uns im kommenden Sommer zusammensetzen. Mit der Vorbereitung und wenn es in den Playoffs gut läuft, werde ich in der NBA wieder auf 100 Spiele kommen, mit dann 37 Jahren. Gut ist, dass die EM im September stattfindet, also relativ spät. Da muss ich ohnehin schon wieder trainieren. Eine Heim-EM wäre sehr interessant für mich, das habe ich dem DBB auch signalisiert. Und immer wenn ich gespielt habe, hat Chris Kaman auch gespielt. Aber ein endgültiges Ja oder Nein kann es erst im kommenden Sommer geben.
SPIEGEL ONLINE: Sollten Sie dabei sein - wie sähe die Taktik aus? Früher hieß es ja oft, gebt Dirk den Ball, und der macht es schon.
Nowitzki: Nein. Wenn ich nächstes Jahr spiele, kann das nicht mehr die Taktik sein. Da bin ich zu alt, um ständig meinen eigenen Wurf zu kreieren. Dann muss es ein gutes Mannschaftsspiel geben, da muss der Ball laufen, da müssen alle gefährlich von außen sein und punkten. Ein Erfolg ist nur mit einem starken Team möglich.