Deutschland im Eishockey-Finale Eiskalt
Als Außenseiter ins Endspiel: Das DEB-Team hat mit dem sensationellen Finaleinzug deutsche Eishockey-Geschichte geschrieben. Entscheidend waren die Coolness der Profis - und Trainer Marco Sturm.
Christian Ehrhoff ist der Ruhepol der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft. Immer wenn es brenzlig wird, wenn eine Unterzahlsituation ansteht oder ein Spiel zu kippen droht, muss der Routinier der Kölner Haie ran. Beim olympischen Halbfinalcoup gegen Kanada stand kein deutscher Spieler länger auf dem Eis als Ehrhoff.
Mit seiner Übersicht war der 35-Jährige insbesondere in den letzten Minuten gegen den noch amtierenden Olympiasieger gefordert, als die Eisfläche ramponiert war und die Nerven aufgerieben. Deutschland führte 4:3, Kanada, der Favorit, drängte auf den Ausgleich.
Später würde DOSB-Präsident Alfons Hörmann über diese Minuten sagen, er habe sie "mit einer Form von Herzklopfen, Anspannung und nervlicher Belastung miterlebt, wie man es sich nicht allzu oft antun darf". Ehrhoff und seine Teamkollegen auf dem Eis aber blieben cool, für ihn selbst "gingen die letzten zehn Minuten sehr schnell um."
Die DEB-Auswahl brachte das Ergebnis über die Zeit und sorgte für eine Sensation bei den Spielen von Pyeongchang. Kanada geschlagen, Finale erreicht, mindestens Silber gesichert - damit hatte vor dem Turnier wohl niemand gerechnet.
Die Mannschaft hatte gegen die Kanadier über zweieinhalb Drittel eines der größten Spiele der deutschen Eishockey-Historie gezeigt. Wie selbstverständlich knüpfte das Team an die Leidenschaft und Kampfkraft der vorherigen Partien an, gegen Kanada kam aber plötzlich aber auch eine spielerische Leichtigkeit hinzu, die so nicht zu erwarten gewesen war. 3:0 und 4:1 hatte Deutschland geführt, doch die Kanadier kamen im Schlussdrittel mit zwei Treffern zurück und so standen noch diese verflixten zehn Minuten auf der Uhr, in denen im Eishockey so viel passieren kann.
"Trotz des Comebacks der Kanadier haben wir immer an uns geglaubt", sagte Stürmer David Wolf, der nach einem harten Check von Kanadas Gilbert Brulé zwischenzeitlich in der Kabine behandelt werden musste. "Wir haben den Sieg verdient."
"Es konnte überhaupt nichts schiefgehen"
Anders als gegen Schweden im Viertelfinale, als das deutsche Team in den ersten Minuten sehr viele Torchancen zugelassen hatte, erwischte die DEB-Auswahl diesmal einen starken Auftakt ins Match. Was auch daran lag, dass sich Kanada von der ersten Minute an schwertat. "Heute waren wir vorm Spiel in der Kabine hochkonzentriert und trotzdem hat jeder die Lockerheit behalten", sagte Angreifer Marcus Kink: "Es konnte überhaupt nichts schiefgehen. Es ist unglaublich, wenn man mit so einem Gefühl in ein Halbfinale gegen Kanada geht." Diese Ruhe und Besonnenheit haben die Spieler von ihrem Bundestrainer Marco Sturm.
Der 39-Jährige, seit 2015 im Amt, wusste genau, welch große Chance Olympia für das deutsche Eishockey bietet. Die amerikanische Profiliga NHL, lange Zeit auch Sturms sportliche Heimat, hatte den besten Eishockey-Spielern der Welt die Freigabe verweigert. Und so reisten die Top-Teams mit der zweiten Garde an, was dem Spiel der Kanadier gegen Deutschland auch deutlich anzumerken war.
"Wir waren noch nie in einer solchen Situation, in einem Halbfinale unter solch positivem Druck zu stehen", sagte Sturm über die Ausgangslage für seine Mannschaft. "Da muss man erstmal cool bleiben und sein Spiel durchziehen. Die Jungs haben es großartig gemacht." Vor allem setzten die Spieler zum wiederholten Male die Taktik ihres Trainers nahezu perfekt um. Defensive Stabilität, gute Raumaufteilung, frühes Anlaufen und schnelle Gegenstöße - so haben es sogar eigentlich überlegene Teams wie Schweden oder Kanada schwer, zu Chancen zu kommen. "Marco hat uns ein System mitgegeben, das perfekt auf uns zugeschnitten ist", sagte Ehrhoff.
Auf den Spuren von Xaver Unsinn
Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die positive Stimmung in der Mannschaft, die viele Spieler herausheben. "Das Besondere ist die Kameradschaft", sagte Ehrhoff und Wolf sprach von einem "unglaublichen Team". Selbst Sturm klang bei seinem Fazit noch ein bisschen wie ein Spieler. "Das bedeutet eine Menge für mich", sagte der sichtlich gerührte Coach. "Ich habe so lange in der NHL gespielt, ohne etwas zu gewinnen. Ich musste schwere Verletzungen überstehen - aber jetzt bekomme ich, obwohl ich der Trainer bin, alles zurück."
Im Finale am Sonntag (5.10 Uhr MEZ, Liveticker SPIEGEL ONLINE) trifft Sturms Mannschaft auf Russland, das nächste Spiel mit vermeintlich klar verteilten Rollen. Die Silbermedaille, die das DEB-Team bereits sicher hat, ist der größte Erfolg in der Geschichte des deutschen Eishockeys. 1976 hatte Deutschland, mit Trainer-Legende Xaver Unsinn an der Bande, die Bronzemedaille gewonnen. Ob es nun sogar zu Gold reicht? "Es wird ein schwieriges Spiel gegen Russland", sagte Patrick Reimer: "Wir werden um jeden Meter kämpfen."
Dieser Mannschaft ist alles zuzutrauen.
Kanada - Deutschland 3:4 (0:1, 1:3, 2:0)
Tore: 0:1 Macek (14:43), 0:2 Plachta (23:21), 0:3 Mauer (26:49), 1:3 Brule (28:17), 1:4 Hager (32:21), 2:4 Robinson (42:42), 3:4 Roy (49:42)
Zuschauer: 4057
Schiedsrichter: Kubus (Slowakei), Mayer (USA)
Strafminuten: Kanada 15 - Deutschland 16