Olympia-Aufgebot Die neue deutsche Demut
Das Aufgebot ist so klein wie lange nicht, die offiziellen Medaillenziele eher bescheiden: Der Deutsche Olympische Sportbund geht mit der gebotenen Zurückhaltung in das Abenteuer Sotschi. Dabei geben die zuletzt gezeigten Leistungen durchaus Anlass zu größten Hoffnungen.
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Im Umfeld der Sommerspiele von London 2012 war eine für den DOSB unschöne Debatte um die vereinbarten Medaillenziele und den intransparenten Umgang mit ihnen ausgebrochen. So etwas soll der vom Generalsekretär Michael Vesper angeführten DOSB-Delegation in Sotschi offensichtlich nicht noch einmal passieren. Entsprechend behutsam ist man das Thema im Vorfeld angegangen und hat die offizielle Anspruchshaltung - so weit wie es eben ging - gestreckt.
Der breite Korridor zu dem, was in Sotschi an Medaillen möglich ist, reicht demnach von 27 auf der einen bis 42 auf der anderen Seite. Wobei damit die Pole zwischen enttäuschendem und überragendem Abschneiden benannt wären. Mit 27-mal Edelmetall käme die DOSB-Auswahl mit der Note "ausreichend" aus Sotschi zurück. Bei einer Bilanz von 42 von insgesamt 294 zu vergebenden Podestplätzen hätte alles gepasst.
Hörmann mit einer sehr defensiven Prognose
Normalerweise ist der Tonfall beim DOSB im Vorfeld von Großereignissen selbstbewusst, manchmal an der Grenze zur Selbstüberschätzung, manchmal darüber hinaus. Mit dem neuen Boss Alfred Hörmann scheint ein neuer Duktus eingekehrt zu sein. Alles, was über 25 Medaillen liege, stelle ihn zufrieden, hatte der ehemalige Chef des Deutschen Skiverbands im Stil der neuen Bescheidenheit erklärt - und damit sogar noch die ohnehin schon defensive Prognose Vespers von 30 Medaillen unterlaufen.
"Aus meiner Sicht kann es nicht nur um die Frage des reinen Medaillenzählens gehen", hat Hörmann am Donnerstag bei der offiziellen Vorstellung des 152-köpfigen Athleten-Aufgebots gesagt. Auch die Verbesserung einer persönlichen Bestleistung oder ein Platz knapp unterhalb des Podestes könnten Erfolge sein. Dabei weiß Hörmann allerdings gut genug, dass am Ende doch nur Gold, Silber und Bronze gezählt werden. Sie sind die einzige harte olympische Währung.
Angesichts der jüngsten deutschen Erfolge hätte man auch anderes als Understatement erwarten können. Zuletzt unterstrichen die Biathleten und Skispringer deutlich ihre aufsteigende Form. Felix Neureuther meldete im Slalom und Riesenslalom höchste Ambitionen an, und die Rodler und Rodlerinnen sind ohnehin auf Gold programmiert. Allein im Eiskanal könnten Felix Loch, Tatjana Hüfner und Co. im Idealfall neun Medaillen für den DOSB sichern und damit alles abräumen, was möglich ist. Nach den Vorleistungen dieses Winters ist das absolut realistisch.
Eisschnelllauf-Team trägt den Namen Pechstein
Natürlich, es gibt auch die Sportarten, deren Athleten im Vergleich zu früheren Winterspielen mit niedrigeren Erwartungen nach Sotschi gehen: Die ganz großen Zeiten der deutschen Bobfahrer scheinen derzeit vorbei zu sein, im Langlauf haben andere Nationen den DSV überholt, das Eisschnelllauf-Team trägt im Grunde den Namen Claudia Pechstein. Eine 41-Jährige als Heilsbringerin: Für die Jüngeren ist das nichts weniger als ein Desaster.
Für Pechstein, zuletzt von Diskus-Champion Robert Harting in dessen gewohnt provokativer Art als mögliche deutsche Fahnenträgerin ins Gespräch gebracht, werden es in Russland die sechsten Olympischen Winterspiele sein. Niemand bringt mehr Erfahrung ein als die gleichermaßen erfolgreiche wie umstrittene Kurvenläuferin. Ihr traut man es sogar zu, dass sie auch nach Sotschi weitermacht - anders zum Beispiel als das Eiskunstlaufpaar Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy. Für sie ist Sotschi die letzte Chance, doch noch olympisches Gold zu erringen.
Pechstein, Sawtschenko/Szolkowy - sie sind die Ausnahmen in einem durchweg jüngeren Team. Für den allergrößten Teil der nominierten DOSB-Athleten wird Sotschi nur eine Zwischenstation in ihrer Karriere sein. Der Umbruch im deutschen Wintersport, er ist in vollem Gange.
Noch ist daher auch nicht sicher, wer das deutsche Gesicht dieser Spiele werden wird. Möglicherweise doch noch einmal Maria Höfl-Riesch, in allen alpinen Disziplinen von Abfahrt über Kombination und Super-G bis Slalom und Riesenslalom für einen Podestplatz gut. Die Konkurrenz bei den Alpin-Frauen ist allerdings so stark wie lange nicht - trotz des verletzungsbedingten Ausfalls von US-Superstar Lindsey Vonn. Prognosen sind hier kaum möglich.
Seit Nagano 1998 hat Deutschland nicht mehr so wenige Athleten zu Olympischen Spielen losgeschickt wie 2014. Die Winterspiele von Sotschi mögen mit ihrem Gigantismus neue Maßstäbe setzen. Beim DOSB jedoch ist diesmal alles eine Nummer kleiner.