Gestrandeter Riesenfrachter "Auf dem Seitenstreifen geparkt"
Eigentlich sollen Schiffslotsen verhindern, dass Riesenfrachter auf Grund laufen. Bei der Havarie in der Elbe haben sie das Gegenteil getan. Elblotse Ben Lodemann erklärt, warum.
Sie bringen hunderttausend Tonnen schwere Kolosse in den Hafen, kennen jede Sandbank und jede Strömung auf über hundert Kilometern Flusslauf: Die Elblotsen sind die Garanten des reibungsfreien Schiffverkehrs zwischen Nordsee und Hamburger Hafen - meistens zumindest. Als der 400 Meter lange Megafrachter "CSCL Indian Ocean" am Mittwochabend auf dem Weg zum Hafen strandete, waren sie allerdings machtlos, sagt der Ältermann der Lotsenbrüderschaft Elbe, Ben Lodemann.
- privat
Lodemann: Ich denke: 'Möge das technisch gutgehen.' Den Fluss kenne ich ja, Kapitän und Schiff nicht. Deshalb betätige ich auch nicht das Steuer, sondern berate nur.
SPIEGEL ONLINE: Was war das Problem bei der "Indian Ocean" - die Technik?
Lodemann: Unser aktueller Stand: Das Ruder ließ sich nicht mehr betätigen, nach der Ursache wird noch gesucht.
SPIEGEL ONLINE: Wie reagiert ein Lotse, wenn das Schiff nicht mehr steuerbar ist?
Lodemann: Das kommt auf sehr viele Faktoren an: Stelle, Wind, Strömung etc. Die Kollegen haben die Fahrt wegnehmen lassen, aber so ein Schiff mit 160.000 Tonnen kann natürlich nicht einfach bremsen wie ein Lastzug auf der Straße. Das rutscht noch ein paar Kilometer weiter. Die Besatzung hat versucht, das Problem zu beheben, das ging aber nicht so schnell. Deshalb hat der Lotse entschieden, das Schiff auf die Nordseite der Fahrrinne zu verbringen, wo es schließlich für diese Situation am sichersten stranden konnte.
SPIEGEL ONLINE: Der Verkehr zum Hamburger Hafen wird dadurch nicht behindert?
Lodemann: Nein, es ist quasi auf dem Seitenstreifen geparkt. Jetzt wartet das Bergungsteam auf das nächste starke Hochwasser und dann schaffen wir das Ding wieder weg.
SPIEGEL ONLINE: Passieren solche Pannen häufiger?
Lodemann: Das ist der schwerste Zwischenfall, seit ich als Lotse arbeite. Wir trainieren die Kollegen regelmäßig im Simulator, um im Störfall richtig zu reagieren.
SPIEGEL ONLINE: Wie läuft die Ausbildung zum Lotsen ab?
Lodemann: Alle Bewerber müssen mindestens zwei Jahre als Kapitän oder Erster Offizier zur See gefahren sein. Dann wissen sie, wie man ein Schiff steuert. Danach verbringen sie acht Monate damit, die Elbe auswendig zu lernen. Und dann arbeiten sie sich fünf Jahre hoch, von den 120-Meter-Frachtern bis zu den großen Schiffen wie jenes, das gerade gestrandet ist.
SPIEGEL ONLINE: Navigationssysteme könnten diesen Job nicht machen?
Lodemann: Nein, nur wir Lotsen kennen die Elbe unter allen Gegebenheiten, das kann keine Technik ersetzen. Wir suchen momentan sogar dringend Nachwuchs. Deshalb arbeiten wir mit den Behörden an einem neuen Zulassungskonzept. Wenn das nicht bald greift, werden die Frachter in drei, vier Jahren wohl länger auf uns warten müssen.