Neuer Gewerkschaftschef Hoffmann Ein Hauch Europa für den DGB
Deutschland hat einen neuen obersten Arbeitnehmerlobbyisten. Reiner Hoffman hat Michael Sommer nach zwölf Jahren als Chef des DGB abgelöst. Der Ökonom will der Sechs-Millionen-Mitglieder-Organisation ein jüngeres Gesicht geben - und sie europäischer machen.
Das Symbol der Macht bekommt Reiner Hoffmann von seinem Vorgänger direkt nach der Wahl in die Hand gedrückt: einen schweren Schlüsselbund für den A8, den Dienstwagen, und für den Zugang zur Zentrale des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin. "Das musste ich jetzt einfach machen", sagt Michael Sommer, bis Montag DGB-Chef und seit mehr als einem Jahrzehnt Gesicht und Stimme für Deutschlands Arbeitnehmer. Nun ist es Hoffmann. Er wurde auf dem DGB-Bundeskongress in Berlin mit einer deutlichen Mehrheit von 93,1 Prozent zum neuen obersten Gewerkschaftsrepräsentanten gewählt. "Ich danke euch für das absolut tolle Ergebnis", rief Hoffmann den rund 400 Delegierten nach der Wahl zu.
Das Signal, das Sommer mit der Schlüsselübergabe an Hoffmann setzt, ist deutlich: Der 62-Jährige Sommer überlässt dem Neuen die Geschicke des DGB freiwillig - und damit auch den Spielraum für eine andere Ausrichtung. Dass der Kongress des Gewerkschaftsverbands im neuen Klotzbau CityCube auf dem Berliner Messegelände stattfindet, in dem es noch nach Farbe und frisch verlegtem Teppichboden riecht, scheint wie ein bewusst gewählter Teil der Symbolik.
Den Mitgliederschwund der DGB-Gewerkschaften nahezu gestoppt
Die Voraussetzungen für einen Neuanfang sind jedenfalls gut. Nach zwölf Jahren an der DGB-Spitze hinterlässt Sommer seinem Nachfolger Hoffmann, was man einen aufgeräumten Laden nennt. Der starke Mitgliederschwund der acht DGB-Gewerkschaften ist nahezu gestoppt, vor allem die größte darunter, die IG Metall, schaffte zuletzt die Trendwende. Abgeräumt hat Sommer pünktlich zu seinem Abgang auch die hartnäckigsten Themen des vergangenen Jahrzehnts: Mit der Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns und der Rente mit 63 dürfte der DGB zumindest halbwegs seinen Frieden mit der Agenda 2010 - der härtesten Arbeits- und Sozialreform des wiedervereinigten Deutschlands - machen. Elf Jahre nach dem Bruch des damaligen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder mit den Gewerkschaften, könnten nun auch die Wunden heilen, die die Agenda innerhalb der Gewerkschaften aufgerissen hat. Vom Ende einer Ära zu sprechen, ist daher nicht übertrieben.
Von großen Fußstapfen ist ebenfalls häufig die Rede, wenn ein Vorsitzender nach vielen Jahren geht. Doch das zweifellos große Erbe Sommers ist auch eine riesige Chance für Hoffmann. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler darf, nein er muss neue, jüngere Themen für den DGB finden, um ihn fit fürs Jetzt und die Zukunft zu machen.
"Gute Arbeit" nennt der 58-jährige Hoffmann selbst sein Projekt für die nächsten Jahre. Nicht mehr prekäre Beschäftigung ist das Schlagwort, sondern modernes, zeitgemäßes Arbeiten, in dem etwa auch die fordernden Jahre junger Eltern flexibler gestaltet werden können und die letzten Jahre vor der Rente, wenn Beschäftigte vielleicht etwas kürzertreten wollen. Zugleich, so Hoffmann, wolle er an die Arbeit seines Vorgängers bei den Themen Mindestlohn und Rente anknüpfen und sie vollenden. "Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über den Wert der Arbeit", sagt er.
"Mit einer europäischen Kleinstaaterei kommen wir nicht voran"
Als zentrales Thema aber hat Hoffmann Europa gewählt. Das hat mit seiner Biografie zu tun: 16 Jahre arbeitete der gebürtige Wuppertaler in Brüssel, zuerst als Direktor des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, danach als stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Zuletzt war er NRW-Vorsitzender der Chemiegewerkschaft IG BCE. Ein gemeinsames Europa zu gestalten bezeichnet Hoffmann denn auch als Herzensangelegenheit. "Mit einer europäischen Kleinstaaterei, mit einem Ausstieg gar aus dem Euro, kommen wir nicht voran", sagt Hoffmann. "Wenn es unseren Kollegen in Südeuropa schlecht geht, wird es uns auf Dauer auch schlecht gehen." Er wolle gemeinsam mit dem DGB für einen Politikwechsel kämpfen - weg von der Sparpolitik hin zu einem europäischen Investitions- und Wachstumsprogramm.
Für seine Arbeit braucht Hoffmann aber vor allem die Unterstützung der acht DGB-Einzelgewerkschaften, darunter die IG Metall, Ver.di und die IG BCE, deren Vorsitzende die eigentliche Macht haben und um deren Gunst er genauso werben muss, wie um die der Berliner Politik. Doch Hoffmann betont, dass er dank seiner Brüsseler Erfahrung als Lobbyist einen langen Atem habe. "Wenn man dort Gewerkschaftsarbeit macht, lernt man seine Ungeduld zu dämpfen", sagt er in freundlich-nüchternem Ton.