Lebensmittel-Lobbyist Herr Becker-Sonnenschein und das Trickser-Image
Er hat einen der härtesten Lobbyisten-Jobs: Stephan Becker-Sonnenschein soll die Lebensmittelbranche einen und das Vertrauen der Verbraucher gewinnen. Eine Studie zeigt, wie groß das Misstrauen der Konsumenten ist. Der neue Botschafter schlägt deshalb ganz ungewohnte Töne an.
Stephan Becker-Sonnenschein kennt die Berliner Gepflogenheiten bereits: Der Geschäftsführer des neuen Vereins "Die Lebensmittelwirtschaft e.V." hat zwar erst einen einzigen Stuhl in seinem Büro in der Friedrichstraße, aber er empfängt Gäste schon - wie viele Lobbyisten - im Café Einstein Unter den Linden.
Becker-Sonnenschein hat einen schwierigen Job übernommen: Er soll den Ruf einer Branche aufpolieren, die in der Vergangenheit massiv an Vertrauenswürdigkeit verloren hat - aus eigener Schuld, wie Kritiker gerne anmerken.
Die Lebensmittelbranche ist groß, zersplittert und uneinheitlich: 4,8 Millionen Menschen arbeiten laut eigener Auskunft in dem Sektor. Es ist die viertgrößte Branche in Deutschland, die rund 170 Milliarden Euro umsetzt. Sie ist in zahllosen Verbänden zusammengeschlossen, die - von der Landwirtschaft bis hin zum Lebensmittelkonzern - durchaus unterschiedliche Interessen vertreten. Sie eint vor allem das Misstrauen der Verbraucher.
Sieben der größten Verbände haben deshalb den Verein "Die Lebensmittelwirtschaft" gegründet, mit dem sie "in einen Dialog" treten und das Vertrauen wieder herstellen wollen. Becker-Sonnenschein hat für Kraft Foods (Lebensmittel) gearbeitet, für Philip Morris (Tabak) und für RWE (Kohle). Er weiß also, wie man umstrittene Produkte in der Öffentlichkeit verkauft. Seinen neuen Job aber sieht Becker-Sonnenschein als "eine der größten Herausforderungen, die es gibt".
Die Verbraucher misstrauen den Kennzeichnungen
Tatsächlich muss der Kommunikator grundlegende Aufbauarbeit leisten. Die Verbraucherzentralen haben die Branche zum Lieblingsfeind erkoren. Lebensmittel sind ein Thema, das jeden Verbraucher betrifft und auf hohes Interesse stößt. Am Donnerstag stellte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin eine Studie vor, die zeigt, wie verwirrt und misstrauisch die Konsumenten mittlerweile sind.
72 Prozent der Verbraucher sagten, sie hätten das Gefühl, "bei den Angaben auf Lebensmitteln wird viel getrickst". Der Vertrauensverlust sei so weit fortgeschritten, dass die Verbraucher selbst Herstellern, die ihre Produkte und Zutaten verständlich und korrekt deklarieren, mittlerweile nicht mehr vertrauen, sagt Studienautorin Anke Zühlsdorf.
Dieser Unmut ist auch im Netz zu sehen. Über das Internet-Portal Lebensmittelklarheit.de - von der Branche als "Lebensmittel-Pranger" geschmäht- reichen Konsumenten zahlreiche Anfragen und Beschwerden über Produkte ein. Im Auftrag der Verbraucherzentralen sollten Zühlsdorf und weitere Kollegen herausfinden, ob die Produktmeldungen nur von besonders spitzfindigen und meckerfreudigen Verbrauchern eingereicht werden, oder ob es ein generelles Problem in der Branche gibt.
Offenbar letzteres: Drei Viertel der Befragten waren der Meinung, dass die Angaben auf der Verpackung Lebensmittel of besser darstellen, als sie in Wirklichkeit sind. 77 Prozent waren der Auffassung man müsse beim Lebensmitteleinkauf schon genau hinschauen, um die tatsächliche Qualität eines Produktes zu erkennen. Egal ob bei der Kennzeichnung von Wurst- und Fleischwaren ("Kalbsleberwurst mit 85 Prozent Schweinefleisch"), bei der Ortsbezeichnung ("aus unserer Region"), beim sogenannten Clean Label ("frei von ") oder der Abbildung von Zutaten auf der Verpackung - die Verbraucher verstehen die Kennzeichnungen nicht oder gar falsch. Und sie glauben fast keiner Aussage mehr.
Lob für den ärgsten Kritiker
Stephan Becker-Sonnenschein sitzt im Publikum, als Verbraucherzentralen-Chef Gerhard Billen die Studie vorstellt und hört aufmerksam zu. Billen bezeichnete den neuen Verein Lebensmittelwirtschaft als "sportliche Herausforderung" - es werde sich zeigen, wer die besseren Informationen habe, wer mehr Vertrauen bekomme.
Becker-Sonnenschein will die Herausforderung annehmen. Im Gespräch zeigt er sich durchaus kritisch, zum Beispiel beim erheblichen Missverhältnis zwischen Werbung mit Bauernhof-Idylle und der agrarindustriellen Realität. Darüber möchte er auch mit den Werbeverantwortlichen diskutieren. Der Lobbyist zeigt Verständnis für das Misstrauen der Verbraucher und lobt Lebensmittelklarheit.de als Möglichkeit, "Bedenken aufzugreifen und zu sehen, wie man damit umgehen kann."
Sogar seinem Gegenspieler, Foodwatch-Chef Thilo Bode, zollt Becker-Sonnenschein Respekt. Die Verbraucherorganisation mache "einen guten Job, hat sich eine ungeheure Reputation geschaffen und Punkte pointiert dargestellt, die man miteinander diskutieren sollte". Das ist tatsächlich ein ganz neuer Ton, der von der Lebensmittelwirtschaft kommt. Die Frage ist nur, ob Becker-Sonnenschein damit durchdringt - bei seinen Vereinsmitgliedern und bei den Verbrauchern.