Autoindustrie Wir sollten unsere Konzerne schützen
Andreas Scheuer bestellt Daimler-Chef Zetsche zum Rapport - und ordnet den Rückruf Hunderttausender Autos an. Der Verkehrsminister täte gut daran, diplomatischer vorzugehen, sonst spielt er Donald Trump in die Hände.
Am Montagnachmittag besuchte Daimlerchef Dieter Zetsche Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer in Berlin, um die verdächtig hohen Abgaswerte etlicher Mercedes-Modelle zu erklären. Scheuer habe Zetsche eingeladen, heißt es in der offiziellen Verlautbarung. Man könnte auch sagen: Zetsche wurde einbestellt - und durch Scheuers anschließend angeordneten Rückruf Hunderttausender Fahrzeuge öffentlich abgewatscht.
Die bemerkenswerte Zusammenkunft lässt sich aus verschiedenen Perspektiven beurteilen. Ein Blickwinkel wäre zum Beispiel, dass die Regierung den Konzernbossen endlich mal klare Kante zeigt. Denn die Affäre um den groß angelegten Betrug bei der Messung des Abgasausstoßes von Dieselautos zieht immer weitere Kreise. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat jetzt auch Daimler im Verdacht, manipuliert zu haben. Es geht um die Diesel-Abgasreinigung beim Kleintransporter Mercedes-Benz Vito. Unklar ist, ob sich die fraglichen Programmierungen auch in anderen Fahrzeugen der Stuttgarter finden - und wenn ja, in wie vielen.
Die stetig wachsende Zahl der Verdachtsfälle und die allzu zögerliche Form der Aufklärung hat bereits nachhaltige Spuren in der öffentlichen Wahrnehmung hinterlassen. Höchste Zeit also für ein Machtwort der Regierung - damit die Konzernbosse endlich kapieren, dass Gesetze für alle gelten und nicht nur für diejenigen, die keine Möglichkeit haben, sich mit Hilfe teurer Anwälte herauszureden.
Hierarchien so steil wie die Alpen
Womöglich ist Zetsche ja selbst davon überzeugt, dass das exzessive Ausschöpfen von Schlupflöchern ganz legitim ist, und sich, wenn die Aufsichtsbehörden nicht mitmachen, ganz einfach durch eine neujustierte Software aus der Welt schaffen lässt. In Stuttgart konnte ihm keiner das Gegenteil klarmachen, denn in einem Konzern wie Daimler, mit Hierarchiestufen so steil wie die Alpen, gibt es keinen mehr, der dem Vorstandsvorsitzenden auf Augenhöhe begegnet, abgesehen vielleicht vom Aufsichtsratsvorsitzenden. Gut also, wenn sich der Bundesverkehrsminister der Sache annimmt.
Doch was mit Blick auf die Einsichtsfähigkeit von Top-Managern als wirksame Bekräftigung einer lange überfälligen Aufklärung notwendig erscheint, könnte unter dem Strich eine ganz andere Beurteilung nahelegen - wenn man es vor dem Hintergrund der politischen Großwetterlage betrachtet. Denn die Zurechtweisung auf offener Bühne, so sehr sie Zetsche selbst verdient haben mag, schadet dem Ansehen des Konzerns. Und hat damit auch unmittelbare Auswirkungen auf seine Stellung auf dem Weltmarkt.
Zweierlei Maß
Ist es also sinnvoll, Industriekonzerne öffentlich zu desavouieren, und damit Leuten wie Donald Trump weitere Argumente für sein nationalistisches Heimatschutzprogramm zu liefern? Denn der US-Präsident wird, wie seine Vorgänger in der Vergangenheit auch, diese Steilvorlage nutzen. Gegen Volkswagen zum Beispiel trieb das US-Justizministerium noch unter Barack Obama die Ermittlungen mit Hochdruck voran.
Knapp zwei Jahre nach Auffliegen der Affäre beugten sich die Wolfsburger dem Druck und schlossen einen Vergleich über mehr als 20 Milliarden Dollar. Zeitgleich stieg die Zahl der Verdachtsmomente gegen den US-Konkurrenten Fiat-Chrysler, doch die Ermittlungen treten auf der Stelle.
Insider vermuten übrigens auch bei der US-Bankenaufsicht zweierlei Maß bei der Bewertung und Ahndung von Regelverstößen. Jedenfalls bezogen sie bei heimischen Konzernen regelmäßig eher entlastende Momente mit ein, die bei der Konkurrenz aus Europa keine Rolle spielten.
Die Macht des Stärkeren
Nun lässt sich einwenden, wir sollten uns nicht auf das Niveau der derzeitigen US-Regierung begeben und den Regeln Geltung verschaffen, die wir uns als Gesellschaft - mit gutem Grund - nun einmal auferlegt haben. Daran sollte man auch nicht rütteln.
Im Wettbewerb von Nationalstaaten finden die Grundprinzipien unserer gesetzlichen Regelwerke allerdings nur eingeschränkt Anwendung. Hier gilt das Eigeninteresse als oberste Triebfeder des Handelns. Und nicht erst seit Donald Trump das Recht des Stärkeren. Das kann man beklagen, doch an der Tatsache führt kein Weg vorbei.
Wäre es also nicht sinnvoll, die Sanktionen für unsere Autokonzerne so zu gestalten, dass sie auf internationaler Bühne weiterhin mit ganzer Kraft auftreten können? Denn unsere Industrie ist es, die Deutschland - und Europa - derzeit Gewicht in der Welt verleiht.