Reform der Erbschaftsteuer Was vom Erbe übrig bleibt
Wie hoch darf der Staat eine Erbschaft besteuern? Bis Juni muss die Bundesregierung neue Antworten finden. Theoretisch begründen lässt sich jeder Steuersatz - von null bis 100 Prozent.
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Sie ringen nun schon mehr als ein Jahr: Seitdem das Bundesverfassungsgericht Ende 2014 die Erbschaftsteuer in ihrer bisherigen Form gekippt hat, suchen Vertreter der Großen Koalition nach einer Neuregelung. Einen Gesetzentwurf von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gibt es längst. Doch die eigentlich zum Jahresbeginn geplante Abstimmung wurde verschoben, weil sich Union und SPD nicht einig werden.
Offiziell geht es um vergleichsweise kleine Änderungen für Unternehmenserben. Die Verfassungsrichter haben die bisherigen Regeln als zu großzügig verworfen, Schäuble will an dieser Stelle nachbessern. Viele Experten wünschen sich dagegen eine grundsätzliche Reform der Erbschaftsteuer. Hinter der Debatte steckt auch die Frage, inwieweit der Staat überhaupt auf das Erbe seiner Bürger zugreifen darf. Je nach Menschenbild lässt sich dabei jeder Steuersatz begründen.
Null Prozent
Meinen Kindern soll es mal besser gehen: Dieser Wunsch treibt viele Eltern zu Höchstleistungen an. Umgekehrt wird so mancher Nachwuchs durch die Aussicht aufs Erbe zum rücksichtsvolleren Umgang mit Mutter und Vater motiviert. All das gefährde der gierige Staat mit einer Erbschaftsteuer, kritisieren deren Gegner.
Zu ihnen gehörte etwa der US-Finanzminister Andrew Mellon, der in den Zwanzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts vergeblich versuchte, die Steuer abzuschaffen. US-Republikaner wie Donald Trump verfolgen das Ziel bis heute. "Die Erbschaftsteuer ist eine sehr, sehr schreckliche Waffe, die viele Familien zerstört hat", sagt Trump.
In Österreich ist die nullprozentige Erbschaftsteuer bereits Realität: Dort hob das Verfassungsgericht die Steuer 2007 auf, weil die Politik eine Frist für geforderte Nachbesserungen verstreichen ließ. So weit könnte es theoretisch auch in Deutschland kommen - die Karlsruher Richter haben der Koalition Zeit bis Ende Juni 2016 gegeben.
Zehn Prozent
"Nur noch wenige Pechvögel" zahlten überhaupt Erbschaftsteuer, sagt Hermann-Ulrich Viskorf, Ex-Vizepräsident des Bundesfinanzhofs. Zwar gelten für Erben in Deutschland Steuersätze von bis zu 50 Prozent, doch die werden aufgrund von Freibeträgen und anderen Ausnahmeregeln in den seltensten Fällen gezahlt. Im Jahr 2014 wurden im Schnitt 11,3 Prozent Steuern auf Erbschaften festgesetzt.
Experten wie Viskorf oder der CDU-Mittelstandspolitiker Christian von Stetten wollen diesen Betrag noch weiter absenken: Sie schlagen eine "Flat Tax" von zehn Prozent vor, die dann aber möglichst ausnahmslos für jede Form von Erbe gelten soll - auch für Unternehmen. Das würde zweifellos die Transparenz erhöhen und Steueroptimierern die Arbeit erschweren.
Allerdings ist die Erbschaftsteuer heute progressiv, steigt also schrittweise an. Ein Einheitssteuersatz belastet im Vergleich dazu vor allem niedrige Erbschaften, sofern nicht gleichzeitig die Freibeträge angehoben werden. Eine Berechnung im Auftrag des Bundesfinanzministeriums (BMF) kam zum Schluss, dass von Stettens Einheitstarif vor allem Erbschaften naher Verwandter bis zu 75.000 Euro trifft, höhere Nachlässe würden dagegen "weitgehend entlastet". Insgesamt würden dem Staat so jährlich knapp 730 Millionen Euro an Einnahmen entgehen.
15 Prozent
Den Wunsch nach einer radikal vereinfachten Erbschaftsteuer hegen nicht nur Konservative. Die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) hat vorgeschlagen, dass nur noch drei Steuersätze gelten sollen: 5, 10 und 15 Prozent, wobei der Höchststeuersatz ab einer Million Euro greifen soll. Zugleich will auch Rehlinger die heutigen Privilegien von Unternehmenserben streichen.
Im Gegensatz zu von Stettens Modell würde dies dem Staat zwar laut den BMF-Berechnungen langfristig ein Plus bescheren. Mit jährlich 225 Millionen Euro wäre dies aber überschaubar. Und auch hier gilt: Die Vereinfachung belastet vor allem kleinere Erbschaften.
33 Prozent
Den Ehrgeiz mancher Koalitionskollegen hat Wolfgang Schäuble nicht. Statt die gesamte Erbschaftsteuer zu reformieren, will er lediglich die vom Verfassungsgericht angemahnten Änderungen für Unternehmen umsetzen. Dabei machte Schäubles Entwurf die Gesetzeslage noch komplizierter als bisher.
Werden Betriebsvermögen von mehr als 26 Millionen Euro vererbt, so haben Unternehmer künftig die Wahl: Sie lassen extra überprüfen, ob ihr Vermögen wie bisher zu 85 oder gar 100 Prozent von der Erbschaftsteuer befreit werden kann. Oder sie wählen einen sogenannten Verschonungsabschlag, dessen Höhe mit steigendem Vermögen schrittweise geringer wird.
Gegen diese Pläne machen Unternehmensvertreter mit alarmierenden Zahlen Front: Die effektive Steuerbelastungsquote für ein Familienunternehmen betrage beim Verschonungsabschlag 23,2 Prozent, bei der Prüfung sogar 33,6 Prozent, warnt die Stiftung Familienunternehmen unter Berufung auf Zahlen des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung Mannheim. Angesichts einer derzeitigen Belastung von 7,5 Prozent drohe der Standort Deutschland im internationalen Vergleich deutlich an Attraktivität zu verlieren.
Entscheidend ist jedoch nicht allein, wie hoch die Steuern sind, sondern wie viele Unternehmen sie auch zahlen. Von den Regeln für Vermögen über 26 Millionen Euro sind nach Angaben des BMF nur rund zwei Prozent aller deutschen Firmen betroffen. Die große Mehrheit des Mittelstands hat von Schäubles Reform also nichts zu befürchten. Für Familienunternehmen sieht der Gesetzentwurf unter bestimmten Voraussetzungen sogar eine Schwelle von 52 Millionen Euro vor. Die Stiftung Familienunternehmen fordert sogar eine Grenze von 120 Millionen Euro.
100 Prozent
Der Staat soll das gesamte Erbe bekommen: Auch diese Forderung gibt es. Zuletzt wurde sie von dem Luxemburger Ökonomen Guy Kirsch bei einer Veranstaltung von Ifo-Institut und "Süddeutscher Zeitung" erhoben. Er schlägt vor, Erbschaften in einem Fonds zu sammeln und dann gleichmäßig unter allen Bürgern zu verteilen.
Die Forderung nach einem Ende des Erbrechts klingt ziemlich links, tatsächlich wurde sie von Frühsozialisten und zeitweise auch von Karl Marx und Friedrich Engels erhoben. Kirsch jedoch bezeichnet sich als Liberalen und kann als solcher auf Vordenker wie Adam Smith und John Stuart Mill verweisen. Mill etwa kritisierte, dass der Gesellschaft durch Erbschaften wichtige Arbeitskräfte verloren gehen.
Während radikale Gegner einer Erbschaftsteuer mit der Leistung der Eltern argumentieren, schauen Liberale wie Kirsch auf die der Kinder. "Es ist ein Skandal, dass jemand sich etwas leisten kann, ohne etwas geleistet zu haben", sagt er. Mit Verweis auf Thomas Manns berühmte Abstiegsgeschichte von den Buddenbrooks merkt der Ökonom außerdem an, ein Erbe könne durch seinen Reichtum auch in ein Leben "hineingezwungen werden, das das seine nicht ist".
Das würde ein echter Familienunternehmer natürlich dementieren. Wichtiger als persönliche Befindlichkeiten aber ist am Ende die Frage der Gerechtigkeit. Diese schnitten beim letzten Urteil aus Karlsruhe bereits drei der acht Verfassungsrichter an: In einem Sondervotum wiesen sie darauf hin, die Erbschaftsteuer solle auch verhindern, dass Reichtum "in den Händen weniger kumuliert" werde.
In einer ehrgeizigen Variante könnten die Regierungspläne die Erbschaftsteuereinnahmen zwar in etwa verdoppeln. Dennoch würden diese aber nicht einmal zwei Prozent der gesamten Steuereinnahmen ausmachen, den weitaus größten Teil tragen hingegen die Arbeitnehmer bei. Auch deshalb könnte die Erbschaftsteuer nach der Reform schon bald wieder in Karlsruhe landen.
Zusammengefasst: Für eine Vereinfachung der Erbschaftsteuer gibt es viele Modelle - von der vollständigen Abschaffung bis zu einem hundertprozentigen Steuersatz. In Deutschland plant die Bundesregierung jetzt allerdings eine Reform, die das System noch komplizierter und kaum gerechter macht.