Streit um Haushaltsdefizit Frankreich ist nicht Griechenland
Sind manche EU-Mitglieder gleicher als andere? Das kleine Griechenland muss weiter sparen, das große Frankreich bekommt dafür mehr Zeit von der EU-Kommission. Misst Brüssel mit zweierlei Maß?
Er wolle "logisch handeln, nicht ideologisch", sagt EU-Währungskommissar Pierre Moscovici häufig. Dabei galt der französische Sozialist vor seiner Bestellung gerade deutschen Konservativen als Ideologe, der einen weniger rigiden Sparkurs in der Eurozone durchsetzen will.
Wohl immer noch aus Sorge vor solcher Kritik bemühte Moscovici auch am Mittwochnachmittag auf einer Pressekonferenz in Brüssel demonstrativ die Logik. Sanktionen wegen Verstößen gegen den Euro-Stabilitätspakt verkörperten ein Scheitern aller Beteiligten, sagte Moscovici, daher verhänge man diese nicht leichtfertig.
Dass als Folge dieser Logik Defizitsünder Frankreich von Brüssel noch einmal mehr Zeit zum Sparen erhält, bestätigte aber gerade Moscovicis Kritiker - die ihm zu viel Milde gegenüber seiner Heimat unterstellen. Nach jüngsten Berechnungen des Finanzministeriums in Paris soll das Haushaltsdefizit Frankreichs in diesem Jahr nämlich bei 4,1 Prozent liegen - die Grenze liegt bei drei Prozent. Gegen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone läuft bereits seit Jahren ein Defizitverfahren.
Allerdings betonte Moscovici zugleich, Frankreich müsse bis April ein "ehrgeiziges nationales Reformprogramm" vorlegen, um sein Defizit zu senken. Zudem müsse durch zusätzliche Ausgabenkürzungen in diesem Jahr das strukturelle Defizit, das Konjunktureinflüsse ausblendet, um 0,2 Prozent sinken.
Die Kommission will in drei Monaten prüfen, ob die Regierung dem nachkommt, andernfalls drohen theoretisch weiter Milliardenstrafen. "Budgetregeln müssen respektiert werden", so Moscovici. Die Kommission werde, falls nötig, alle verfügbaren Instrumentarien einsetzen.
Nachsicht für große EU-Staaten
Dennoch: Ist diese versöhnliche Lösung nicht erstaunlich, wenige Tage nach dem Schulden-Showdown mit Griechenland?
Das Timing ist zwar Zufall. Die Entscheidung der EU-Kommission fiel im Zuge der Analyse der Wirtschaftspolitik der EU-Staaten. Diese mussten dafür ihre Haushaltsentwürfe für das laufende Jahr vorlegen.
Dennoch werden sich jene Stimmen bestätigt fühlen, die der Kommission Beißhemmung gegenüber größeren Mitgliedstaaten unterstellen.
Die Kommission teilte schließlich zeitgleich mit, gegen Italien keine disziplinarischen Schritte wegen der steigendenden Fehlbeträge im Budget einzuleiten. Italiens Staatsverschuldung ist seit 2008 jedes Jahr weiter gestiegen und liegt jetzt bei 133 Prozent der Wirtschaftsleistung - erlaubt ist mit 60 Prozent weniger als die Hälfte.
Kritiker sehen darin eine Entscheidung des neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, nicht den Konflikt mit wichtigen Hauptstädten zu suchen. Der Luxemburger hatte schon 2014 der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, große Länder könnten Lektionen aus Brüssel "sowieso nicht leiden". Juncker weiter: "Sie machen selber Vorschläge. Das ist ein Weg, mit Staaten und Parlamenten umzugehen, der respektvoller ist."
Junckers parallele Pläne, die Regeln des Stabilitätspakts flexibler zu gestalten und somit Defizitsündern wie Frankreich entgegenzukommen, ärgerte nach SPIEGEL-Informationen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie geriet zu der Frage mit Juncker mehrfach aneinander.
Kneift die EU-Kommission?
Entsprechend negativ fielen einige Reaktionen aus. "Regeln zur Haushaltskontrolle gelten auch für große Länder. Ich bin enttäuscht, dass die Kommission kneift, sobald es ernst wird", kritisierte Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europarlament.
Auch Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Vizepräsident des Parlaments, schimpfte: "Die Kommission fasst Italien und Frankreich mit Samthandschuhen an."
Dem hielt der Chef des Berliner Jacques Delors-Instituts, Henrik Enderlein, entgegen: "Es ist richtig, in Zeiten der Wirtschaftskrise mehr Spielraum für nötige Investitionen zu schaffen".
Übel wird gerade deutschen Kritikern aufstoßen, dass Moscovici am Mittwoch zugleich kritische Worte für den Exportriesen Deutschland fand. Berlin müsse seinen immer höheren Leistungsbilanzüberschuss im Auge behalten, mahnte der Franzose - zu geringe öffentliche und private Investitionen in der Wachstumslokomotive des Kontinents führten zu wirtschaftlichen Verzerrungen.
Derlei Kritik haben deutsche Vertreter wiederholt zurückgewiesen. "Ein Leistungsbilanzüberschuss alleine ist für Europa kein Grund zum Handeln", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in der Vergangenheit. Das Problem sei nicht Deutschlands Überschuss, sondern die Defizite in anderen Ländern.
Doch wahr ist auch: Die EU fordert von ihren Mitgliedstaaten, das Verhältnis vom Export zum Import nicht zu groß werden zu lassen. Handelsbilanzüberschüsse, die sechs Prozent oder mehr des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausmachten, stellten eine Gefahr für die wirtschaftliche Stabilität des Kontinents dar, so die Vorgabe.
Mit Material von dpa