Griechenland-Krise Endspiel für den Euro
Die Griechen-Tragödie ist eine Zerreißprobe für die Euro-Zone. Damit die Währungsunion ihre bislang schwerste Krise überlebt, müssten die Europäer solidarischer agieren. Doch gerade die Deutschen sträuben sich - und setzen lieber auf national gefärbten Populismus.
Es ist Zeit, den Bürgern die Wahrheit zu sagen. Und die lautet: Europa steht an einer historischen Weggabelung. Es gibt nur noch ein Entweder-Oder.
Entweder die Euro-Staaten ergänzen ihre gemeinsame Währung um große Überweisungen zwischen starken und schwachen Regionen. Oder das Projekt Euro wird scheitern, wie viele Währungsunionen zuvor in der Geschichte.
Entweder Europa begegnet den aktuellen Herausforderungen mit institutionellen Innovationen. Oder die Märkte werden die Währungsunion sprengen.
Entweder die Mitgliedstaaten ringen sich in der Krise dazu durch, den nächsten, logischen Schritt in Richtung einer "immer engeren Union der Völker Europas" zu tun, wie sie es bereits im Maastricht-Vertrag von 1992 versprochen haben. Oder die ökonomische Klammer, die die europäische Nachkriegsordnung jahrzehntelang zusammenhielt, wird gelöst - mit unabsehbaren Folgen.
Sicher, es gibt viele Gründe, Griechenland jetzt nicht zu helfen: die überbordenden Staatsausgaben, die gefälschten Statistiken, das marode Regierungssystem. Man kann als Deutscher, Niederländer oder Österreicher darüber sauer sein, sich betrogen und übervorteilt fühlen. Warum sollen wir ausgerechnet für die Griechen zahlen - und später womöglich noch für die Portugiesen, die Spanier ?
Eine Euroland-weite Steuer muss her
Tatsächlich aber muss Europa eine Schritt weiter gehen: Es genügt nicht, eine gemeinsame Hilfskasse für Länder in Zahlungsschwierigkeiten einzurichten wie den Europäische Währungsfonds, über den hinter den Kulissen gesprochen wird. Europa muss einen echten Umverteilungsmechanismus erfinden.
Dieser Mechanismus sollte aus zwei Elementen bestehen: einerseits einer progressiven Euroland-weiten Steuer, die in prosperierenden Regionen überproportional stark zugreift; andererseits einer Euroland-weiten Arbeitslosenversicherung, die die Einnahmen aus der Steuer in darbende Regionen transferiert.
Anders lassen sich die regionalen Fliehkräfte innerhalb des Euro-Landes kaum überbrücken. Seit Jahren haben einige Länder massive Leistungsbilanzdefizite, insbesondere die jetzigen Problemstaaten Griechenland, Spanien und Portugal. Andere Mitgliedstaaten hingegen haben sehr hohe Leistungsbilanzüberschüsse, insbesondere Deutschland und die Niederlande. Niemand hat Anfang der neunziger Jahre vorhergesehen, dass die Währungsunion bei liberalisierten und geöffneten Kapitalmärkten so große, dauerhafte Ungleichgewichte hervorbringen würde. Und doch: Sie sind da. Leugnen ist zwecklos.
Die EU versucht es mit einer Cold-Turkey-Strategie
Diese ökonomischen Divergenzen sind es auch, die letztlich für die Haushaltsschieflagen verantwortlich sind: Volkswirtschaften, die immer weiter an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, bricht die Steuerbasis weg, während die hohe Arbeitslosigkeit die Staatsausgaben steigen lässt. Auch eine staatliche Planinsolvenz Griechenlands und womöglich noch weiterer Staaten wird daran nichts ändern: Die betroffenen Volkswirtschaften müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangen. So oder so.
Die EU versucht es nun mit einer hammerharten Strategie: Durch Einsparungen, steigende Steuern und sinkende Löhne soll Griechenland (ebenso wie Irland oder Lettland) wieder wettbewerbsfähig werden. Kostensenkungen führen zu Investitionen, führen zu höheren Löhnen, führen zu Beschäftigung, führen zu höheren Staatseinnahmen. So in etwa sieht die Logik dahinter aus.
Kann sie gelingen? Eine jahrelange Cold-Turkey-Strategie droht sozialökonomische Zerfallsprozesse anzustoßen - Massenarbeitslosigkeit, Abwanderung der leistungsfähigen Beschäftigten, weiterer Abzug von Investoren - die eine Gesundung verhindern und die Abwärtsspirale noch weiter beschleunigen. Der Ökonom Thomas Straubhaar hat vor einigen Wochen darauf hingewiesen.
Einzelne Staaten drohen aus der Währungsunion gedrängt zu werden
Unkalkulierbar sind die politischen Rückwirkungen. Möglich, dass die Demokratie unter die Räder kommt. Möglich auch, dass einzelne Staaten aus der Währungsunion herausgedrängt werden, so dass sie abwerten könnten, was aber Exporteure anderswo im Euro-Raum als unfairen Wettbewerbsvorteil empfinden würden. Mutmaßliche Folge: Protektionismus, Parzellierung des Binnenmarkts - das Ende des seit 1950 fortschreitenden europäischen Projekts der Annäherung durch wirtschaftliche Verflechtung.
Gemessen daran ist der Ausbau der supranationalen Staatlichkeit durch Einführung eines echten fiskalischen Föderalismus ein überschaubarer Preis. So eingängig die aktuellen Gründe gegen Griechenland-Hilfen auch klingen mögen.
Aber wird es so weit kommen? Es sieht nicht danach aus. Die Bundesregierung sieht sich nicht mehr als Sachwalter des europäischen Gemeinschaftsinteresses, anders als Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Einzig Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Kohls langjähriger Weggefährte, hält die Euro-Fahne noch im Kabinett hoch. Aber durchsetzen wird er sich kaum können gegen all den nationalgefärbten neudeutschen Populismus.