Obamas Finanzreform-Erfolg Schutzwall gegen die wilde Wall Street
Nie wieder hochriskante Exzesse an den Finanzmärkten: Mit diesem Versprechen ist US-Präsident Obama angetreten - jetzt hat der Senat das größte Regulierungsgesetz seit 80 Jahren beschlossen. Geht die Reform weit genug, um die zerstörerischen Kräfte der Geldindustrie zu zügeln?
Es ist vollbracht. Nach anderthalb Jahren Debatte wird jetzt Geschichte geschrieben. Der US-Kongress hat an diesem Donnerstag die größte Finanzreform des Landes seit der Weltwirtschaftskrise auf den Weg gebracht.
60 Senatoren stimmten am Vormittag (Ortszeit) für ein Ende der Debatte über das Gesetz, darunter drei Republikaner - und stoppten damit den sogenannten Filibuster, die wochenlange Verzögerungstaktik der Opposition im Senat ( mehr auf Wikipedia ). Am Nachmittag kam es zur eigentlichen Abstimmung, und wieder gab es 60 Stimmen für das mehr als 2000 Seiten starke Gesetz. Die Demokraten konnten damit Vollzug melden. Weil das Abgeordnetenhaus schon zugestimmt hat, muss Präsident Barack Obama das Werk in den kommenden Tagen nur noch unterzeichnen, dann kann es in Kraft treten. Für den Präsidenten ist es ein triumphaler Sieg. Nach der Gesundheitsreform im Frühjahr ist ihm sein zweites innenpolitisches Großprojekt gelungen.
Die Reform biete Familien und Unternehmen die langersehnte Sicherheit, sagte Obama. Die neuen Rechtsvorschriften stellten sicher, dass die US-Bevölkerung nicht die Zeche für Exzesse der Wall Street zahlen müsse. Finanzminister Timothy Geithner kündigte eine rasche Umsetzung der neuen Regeln an. Dies sei der Anfang und nicht das Ende eines Prozesses, sagte Geithner. "Dieser Prozess wird einige Zeit dauern, aber wir sind entschlossen, so schnell wie möglich zu handeln, um Klarheit und Sicherheit zu schaffen."
"Das, was wir durchgemacht haben, dürfen wir nie wieder durchmachen", sagte der demokratische Senator Chris Dodd, einer der Initiatoren. Das Lager des Präsidenten, angeführt von Mehrheitsführer Harry Reid, verteidigte die Reform mit Verweis auf die desaströsen Folgen der Finanzkrise als unausweichlich. Die meisten Republikaner lehnten sich dagegen, weil sie "Arbeitsplätze und Unternehmen ins Ausland vertreiben" werde, sagte Senator Saxby Chambliss. Sein Kollege Richard Shelby kritisierte: "Unternehmen werden Wachstumschancen versagt." Obamas Regierung nutze die Krise aus, um die Macht des Staates auszuweiten.
Die drei Republikaner, die am Ende mit den Demokraten stimmten, waren Olympia Snowe und Susan Collins, die beiden moderaten Senatorinnen aus Maine, und Scott Brown aus Massachussetts. Letzterer war erst kürzlich für den verstorbenen Ted Kennedy in den Senat gerückt - er ist seit fast vier Jahrzehnten der erste republikanische Senator des liberalen Bundesstaates, und mit seiner Aktion an diesem Donnerstag hat er ein Zeichen gesetzt.
Die Demokraten haben sich ihren Sieg mit Zugeständnissen erkauft. Die ersten Reformpläne sind in den vergangenen Monaten verwässert worden. Auflagen zur Trennung von Bank- und Investmentgeschäften fallen weniger streng aus als zunächst geplant, genau wie die Verpflichtung für Banken, höhere Barreserven zur Absicherung ihrer Aktivitäten zu halten.
Interessenvertreter kämpften bis zuletzt
Allerdings waren es nicht nur die Republikaner, die für eine Abmilderung der Reform gekämpft haben. Vor allem auch die Lobbyisten der Finanzbranche wehrten sich mit Macht gegen eine allzu harte Regulierung. Die Banken, eben erst von den US-Steuerzahlern aus der schwersten Krise ihrer Geschichte gerettet, steckten zig Millionen Dollar in ihre Interessenvertreter in Washington. Mehr als tausend Lobbyisten wurden alleine in den vergangenen Wochen beschäftigt, um einzelne Passagen im Gesetzentwurf umschreiben oder entfernen zu lassen.
Zum wichtigsten Verbündeten für die Demokraten wurde in dieser Situation die Öffentlichkeit - durch einen Trick. Obamas Parteifreunde setzten in einem Geniestreich durch, dass die Verhandlungen während der wichtigsten Reformdebatte im Senat live im Fernsehen übertragen wurden. Die Diskussion fand plötzlich nicht mehr hinter verschlossenen Türen statt. Den Republikanern drohte Wählerprotest, wenn sie sich zu offen für die Interessen einzelner Wall-Street-Giganten und anderer Finanzkonzerne stark gemacht hätten.
So sollen hochriskante Kreditpraktiken verhindert werden, die viele US-Immobilienkäufer in den Bankrott getrieben und mit zur Finanzkrise beigetragen haben.
Es spricht Empfehlungen für die Eigenkapitalanforderungen aus und entscheidet im Ernstfall über die Zerschlagung oder Abwicklung eines Großinstituts.
Für einen solchen Ernstfall müssen die größten Banken und Versicherungen regelmäßig aktualisierte Pläne für die eigene Zerschlagung vorlegen.
Großen Banken ist der Handel mit Derivaten nur noch zum Zwecke der Risikoabsicherung erlaubt. Die hochriskanten Finanzpapiere gelten als eine der Ursachen für die jüngste Weltfinanzkrise.
Die "FinReg" - kurz für "Financial Regulation" - soll durch mehrere Vorkehrungen Finanzkrisen nach dem Muster der vergangenen zwei Jahre verhindern. Zu den wichtigsten Ideen gehört ein Konzept zur Abwicklung kaputter Finanzriesen. 2008 brach Chaos aus, nachdem die US-Regierung Lehman Brothers und Bear Stearns untergehen ließ. Den Versicherungsriesen AIG dagegen rettete sie mit Milliardenhilfen, weil er als "too big to fail" galt: Befürchtet wurde, dass ein Zusammenbruch ein globales Finanzbeben ausgelöst. Eine solche Situation soll sich nicht wiederholen. Künftig soll die Geldindustrie selbst und nicht die Steuerzahler für die Rettung großer Finanzkonzerne aufkommen. Sie wird nach einer Rettungsaktion zur Kasse gebeten - allerdings muss sie nicht wie ursprünglich geplant schon vorher einen 50-Milliarden-Dollar-Fonds bereitstellen. Eine Bankenabgabe wird es auch nicht geben, um sie an den Kosten der Krise zu beteiligen.
Jetzt müssen noch Details erarbeitet werden - unter Druck der Lobbyisten
"FinReg" sieht auch eine neue Verbraucherschutzbehörde vor. Sie soll Bürger künftig vor unseriösen Geschäftspraktiken der Kreditbanken schützen, deren aggressives Marketing von Kreditkarten, Automobildarlehen und Hypotheken die Schuldenkrise in den USA mitverursacht haben.
Auch die "Volcker Rule" wird nun Gesetz. Benannt nach dem früheren Notenbankpräsidenten Paul Volcker, heute einer der engsten wirtschaftspolitischen Berater Obamas, schränkt sie das profitabel-riskante Investmentgeschäft für staatlich unterstützte Finanzhäuser ein. Bisher konnten Banken, die über die Notenbank an billiges Geld kamen und deren Spareinlagen versichert waren, nach Belieben auf Hedgefonds und Private Equity setzen - damit ist jetzt Schluss.
Das größte Manko für alle, die sich einschneidende Veränderungen gewünscht haben: Das Reformgesetz legt in vielen Kernpunkten noch keine Details fest - sondern gibt nur die Richtung vor. Den Rest legt man in die Hände der US-Behörden, die in den kommenden Monaten viel zu tun haben. Der US-Handelskammer zufolge sind 533 Regeln noch auszuformulieren.
Auch hier dürften die Lobbyisten um Punkt und Komma ringen.