Krise in der Türkei Warum Staatspräsident Erdogan nach Argentinien schauen sollte
Argentinien steuert mit Inflationsraten von mehr als 30 Prozent und einem dramatischen Verfall der Währung auf einen Zusammenbruch der Wirtschaft zu. Wenn die Türkei nicht bald handelt, droht ihr Ähnliches.
Notsteuern auf Exporte, strikte Sparprogramme und wahrscheinlich bald auch geschlossene Ministerien: Argentinien versucht mit allen Mitteln, sich gegen die Wirtschaftskrise zu stemmen, die den südamerikanischen Staat immer fester im Griff hat. Wirtschaftspolitische Notfallmaßnahmen sollen den Kollaps verhindern. Es sind drastische und letztmögliche Maßnahmen - die Ultima Ratio.
Gängige Mittel gegen die Krise, wie die kontinuierliche Erhöhung der Leitzinsen, konnten den Verfall der Landeswährung bislang nicht stoppen. Da half es auch nicht, dass Argentinien Hilfen beim Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragte. Im Gegenteil: Der Peso verlor weiter an Wert.
Die Krise in Argentinien hat viele hausgemachte Gründe. Doch sie zeigt auch, wie schnell internationale Investoren das Vertrauen in eine Volkswirtschaft verlieren können. "In Argentinien hat die Abwärtsspirale aus Inflation und Abwertung derart an Dynamik gewonnen, dass höhere Notenbank-Zinsen kaum noch wirken", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank - und das sollte auch anderen Staaten in der Krise als Mahnung diesen: "In der Türkei könnte dasselbe passieren."
Noch weigert sich der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, beim IWF um Hilfe zu bitten. Auch die Zentralbank scheut bislang vor den dringend benötigten Zinserhöhungen zurück. Dabei sind sich die meisten Ökonomen einig, dass genau diese Maßnahmen dazu führen dürften, die Lira zu stabilisieren oder zumindest ihre Talfahrt zumindest zu stoppen. Noch.
Denn wenn die Türkei nicht bald handelt, droht dem Land eine ähnliche Lage wie in Argentinien. Vom Hoffnungsträger zum Problemfall.
Argentinien und die Türkei galten lange als die Stars unter den Schwellenländern - vielversprechend und ambitioniert. Doch gemangelt hat es offenbar an Disziplin. "Beide Staaten haben massiv über ihre Verhältnisse gelebt", sagt Klaus-Jürgen Gern vom Institut für Weltwirtschaft (IfW). "Der Aufschwung wurde mit internationalen Mitteln finanziert, die zunächst günstig erschienen, nach der Abwertung nun aber zu einer Last zu werden drohen, die die Wirtschaft in die Knie zwingt."
In Argentinien haben Staat und Unternehmen mehr als 250 Milliarden Dollar Schulden im Ausland aufgehäuft, in der Türkei sind es sogar mehr als 460 Milliarden. Aufgenommen wurden viele Kredite in einer Zeit, in der sowohl die türkische Lira als auch der argentinische Peso noch stabil waren. Getilgt werden müssen die Kredite oftmals in der Fremdwährung, in der sie aufgenommen wurden, in der Regel also in Dollar.
Doch genau das wird ständig teurer. Denn ihren Umsatz erwirtschaften die betroffenen Unternehmen in Lira und Peso. Weil beide Währungen immer mehr an Wert verlieren, werden die Tilgungen zu einem bedrohlichen Problem. Für türkische und argentinische Kreditnehmer wird es immer schwieriger, ihre Schulden zu begleichen, der kreditfinanzierte Boom geht jäh zu Ende.
Im Vergleich zum Euro hat die Lira innerhalb eines Jahres knapp die Hälfte ihres Werts verloren, der Peso im gleichen Zeitraum mehr als 55 Prozent. Die Abwertung der türkischen und argentinischen Landeswährungen befeuert wiederum die Inflationsraten. Die tragen dazu bei, dass Kapital abfließt und damit die Währung weiterhin fällt. Das ist ein Teufelskreis.
Besonders gefährlich ist eine solche Entwicklung für Staaten, die mehr importieren als exportieren, also ein Leistungsbilanzdefizit aufweisen.
In stabilen Zeiten ist ein solches Defizit vergleichsweise unproblematisch. Doch aufgrund der hohen Inflationsraten und der massiven Abwertung der Währung wird es zur volkswirtschaftlichen Gefahr. Importe werden wegen der Wechselkursverluste teurer, die Inflation wirkt sich negativ auf die Kaufkraft der Menschen aus. Eine riskante Mischung.
Auch die Zinswende in den USA hat der Türkei und Argentinien zugesetzt. Wenn die US-Notenbank die Zinsen anhebt, fließt das Geld zurück in die USA - und weg aus den Schwellenländern. Amerikanische Anleger investieren ihr Geld dann seltener in eher risikobehaftete Länder und häufiger im eigenen Land.
Das setzt allen Schwellenländern zu. Wie stark dieser Effekt ist, hängt aber davon ab, ob das betroffene Land zusätzlich mit hausgemachten Problemen zu kämpfen hat.
Lira und Peso würden Währungen anderer Schwellenländer mit nach unten ziehen, lautet eine der gängigen Interpretationen dieser Tage. Gar von einer Schwellenländerkrise oder einem Flächenbrand ist die Rede. Dem widerspricht Volkswirt Krämer. "Wenn einzelne Schwellenländer ihre Hausarbeiten nicht erledigt haben, dann wird das jetzt brutal offengelegt. Das betrifft die Türkei und Argentinien in besonderem Maße", sagt er. "Bei einer Schwellenländerkrise hätten dagegen alle Schwellenländer mit einem Währungsverfall und einer Inflation wie in Argentinien zu kämpfen."
Tatsächlich sind die Wechselkurse in Ländern wie Indien, Südafrika oder Indonesien deutlich weniger stark gefallen.
Es sind selbst verschuldete Probleme, die den Türken und Argentiniern jetzt zu schaffen machen. In Argentinien hat die Regierung offenbar den Ernst der Lage erkannt und leitet etliche Maßnahmen ein, um einen Kollaps womöglich noch zu verhindern. Ausgang? Ungewiss.
Die Südamerikaner sollten der Türkei als mahnendes Beispiel gelten. Wenn nicht einmal mehr Zinserhöhungen helfen, den Verfall einzudämmen, dann steht eine Währung, im schlimmsten Fall eine ganze Volkswirtschaft, vor dem Abgrund. Das ist der Status quo in Argentinien. Wenn nicht bald gehandelt wird, könnte es auch in der Türkei so weit kommen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, im Vergleich zum Euro habe die Lira innerhalb eines Jahres 90 Prozent ihres Werts verloren. Richtig ist ein Wertverlust in Höhe von knapp 50 Prozent. Wir haben die Textstelle korrigiert.