Euro-Krise Europa braucht den Lehman-Moment
Griechenland mal wieder vor der unkontrollierten Pleite, Rekordzinsen für spanische Anleihen, Deutschland vom Downgrading bedroht: Der Wahnsinn der Euro-Krise hat uns wieder. Kein Wunder - denn von den Problemen der Krise ist noch keines gelöst.
Eine Definition von Wahnsinn besagt: Wahnsinn liegt dann vor, wenn man immer wieder das Gleiche tut, aber jedes Mal ein anderes Ergebnis erwartet. Gemessen an dieser Definition regiert in Europa längst der Wahnsinn.
Die Krise der Währungsunion wurde durch billiges Geld ausgelöst, das den Südländern zufloss - jetzt will man helfen, indem man ihnen noch mehr billiges Geld in Form von Rettungsprogrammen, vergemeinschafteten Schulden und Zentralbankgeld zukommen lässt.
Gemeinsame Vorgaben zur Haushaltsdisziplin, die so genannten "Maastricht-Kriterien", waren nach wenigen Jahren Makulatur - jetzt ersinnt man unter dem Namen "Fiskalpakt" neue Haushaltsregeln, ohne zu sagen, warum sich diesmal die Beteiligten daran halten werden.
Es ist nicht klar, wen man mehr bedauern soll:
- Politiker, die etwas beschließen müssen, dessen Tragweite sie nicht abschätzen können.
- Die Europäische Zentralbank (EZB), die nicht mehr weiß, wie sie die Wirtschaft mit Geld versorgen und stimulieren soll.
- Das deutsche Verfassungsgericht, das über das Schicksal eines Kontinents entscheiden soll.
- Oder den Bürger, der Angst um seine Ersparnisse und seine Altersvorsorge hat und all das nicht mehr versteht.
Es ist hilfreich, sich in einer solch verfahrenen Situation an einige einfache Zusammenhänge zu erinnern. Zunächst einmal hat die Euro-Krise allenfalls am Rande etwas mit der Finanzkrise 2008 zu tun. Diese Krise hat zwar zum Anstieg der Defizite in den Staatshaushalten beigetragen, aber sie ist nicht der Grund für die Euro-Krise.
Schon vor dem Start des Euro war klar, dass der Euro-Raum in dieser Form eine Fehlkonstruktion ist: Weder reichten die Vorkehrungen gegen überbordende Staatsschulden aus. Noch hat man sich Gedanken darüber gemacht, was passiert, wenn die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten auseinanderdriftet - was dann prompt passierte. Während Deutschland wirtschaftlich erstarkte, lahmten die Südländer. Die Folge waren deutsche Exporte in den Süden - bezahlt mit Schulden und vagen Versprechen auf Papier, die Experten Target-Salden nennen. Die Deutschen haben ein Jahrzehnt lang ihre Exporte auf Pump verkauft und müssen nun fürchten, dass sie in letzter Instanz ihre Waren in den Süden verschenkt haben.
Staatsschulden- und Bankenkrise sind Symptome der Euro-Krise
Die jetzige Krise ist eine Euro-Krise; Staatsschulden- und Bankenkrise sind lediglich Symptome dafür. Solange sich diese Erkenntnis nicht durchsetzt, wird in der Europapolitik weiter der Wahnsinn herrschen. Um ihm ein Ende zu machen, muss man zwischen kurz- und langfristigen Rettungsmaßnahmen unterscheiden. Bisher hat die Politik kurzfristig agiert; hat die Insolvenz Griechenlands geleugnet und versucht, Staaten zu retten, indem man sie mit Geld zuwirft.
Kurzfristig ist aber eine andere Medizin gefragt: Man muss das Bankensystem stabilisieren. Zum einen ist es billiger, Banken statt Staaten zu retten (allerdings stets unter der Maxime, dass zunächst die Aktionäre und Anleger mit ihrem Geld geradestehen müssen, bevor der Staat eingreift). Zum anderen ist ein stabiles Bankensystem die Voraussetzung dafür, dass Staaten pleitegehen können, ohne den ganzen Kontinent in eine Rezession zu reißen.
Ohne die glaubhafte Drohung einer Staatspleite aber werden sich Staaten weiterhin Geld leihen und verkonsumieren. Und dieses Geld auch von Investoren bekommen, die darauf spekulieren, dass die Union - respektive Deutschland - die Zeche schon zahlen wird.
Die Europäische Währungsunion braucht ihren Lehman-Moment, sonst wird es weiter gehen wie bisher. Die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers hat allen Beteiligten klar gemacht: Ja, auch Banken dieser Größe können pleitegehen. Eine ähnliche Lernerfahrung wäre auch in Bezug auf Staatspleiten dringend erforderlich.
Der Kern der Euro-Krise bleibt bestehen
Doch nach einer Strategie "Banken stabilisieren - Staaten pleitegehen lassen" sieht es derzeit nicht aus. Mittlerweile haben die Banken in den Schuldenstaaten begonnen, die Staatsschuldtitel des eigenen Landes zu übernehmen. Damit werden über die Bankenrettung vermutlich automatisch auch die Staaten gerettet.
Die dadurch gestiegene Verflechtung von Staaten mit ihren eigenen Banken erschwert es sehr, Banken und Staaten voneinander zu trennen - obwohl gerade dies erforderlich wäre, um das Finanzsystem zu stärken. Damit bleiben als kurzfristige Auswege nur der weitere Aufkauf von Staatsschuldtiteln durch die Europäische Zentralbank - oder die Vergemeinschaftung der Staatsschulden über Euro-Bonds.
Doch die Ankündigung der Rating-Agentur Moodys, den Ausblick für Deutschlands Rating auf "negativ" zu senken, zeigt: Auch der Weg immer größerer Bürgschaftsschirme und Hilfspakete ist endlich. Der Kern der Euro-Krise bleibt bestehen: Die Produktivitäts- und Wachstumsunterschiede zwischen den Nord- und den Südländern sind zu groß und werden sich kaum zügig abbauen lassen. Deswegen ist der Euroraum in der gegenwärtigen Form nicht zukunftsfähig. Weder Rettungsschirme, Bankenunionen oder Manifeste werden daran etwas ändern. Und je länger die Politik sich dieser Tatsache verschließt, umso teurer wird das irgendwann anstehende Endspiel.
Hanno Beck ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim, Aloys Prinz an der Universität Münster