Spektakuläre Arbeitskämpfe Weselsky - im Vergleich ein Softie
Erst die Piloten, jetzt die Lokführer - in Deutschland scheint ständig gestreikt zu werden. Eine Rückschau zeigt jedoch: Wir leben in friedlichen Zeiten. GDL-Chef Weselsky hätte vor einigen Jahrzehnten als moderat gegolten.
GDL-Chef Claus Weselsky muss viel einstecken. Sein Vorgänger Manfred Schell bezeichnet ihn mal als "Mao" mal als "Assad". Andere wiederum nennen ihn einen Stalinisten. Der Lokführer-Funktionär ist zum Feindbild Nummer eins unter deutschen Gewerkschaftsgegnern avanciert.
Doch es gab in der Geschichte der Bundesrepublik Gewerkschaftsführer, die Weselsky an Konfliktfreude mindestens ebenbürtig waren. Der damalige IG-Metall-Vizechef Franz Steinkühler etwa zog in den Achtzigerjahren den Zorn der Öffentlichkeit auf sich, als er einen massiven Streik für die 35-Stunden-Woche in Baden-Württemberg vom Zaun brach. Sieben Wochen dauerte der Ausstand damals. Am Ende einigte man sich auf 38,5 Stunden.
Oder Heinz Kluncker, der Vorsitzende der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, dem Vorläufer von Ver.di. Mit Warnstreiks seiner Tram-Fahrer, Postboten und Müllkutscher vermittelte er den Bürgern Anfang 1974 einen Eindruck, was passieren könnte, wenn die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ihre Arbeit einstellen. Nach fast sechs Monaten Arbeitskampf erreichte Kluncker einen Gehaltsaufschlag von elf Prozent für die Beschäftigten. Zahlen von denen Weselsky heute nicht einmal zu träumen wagt.
Auch die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, die 2001 unter das Dach von Ver.di schlüpfte, kämpfte unter Margret Mönig-Raane verbissen um bessere Arbeitsbedingungen. In den Neunzigerjahren traten die HBV-Mitglieder immer wieder in den Ausstand. Die Öffentlichkeit bekam davon jedoch nur im Einzelfall etwas mit. Denn auch wenn jedesmal Zehntausende beteiligt waren, fehlte der Gewerkschaft die Durchschlagskraft, weil die Branche aus unzähligen kleinen Betrieben besteht.
Auch ein Blick auf die Zahl der Streiktage zeigt: Die haben 2013 zwar erstmals seit langem wieder zugelegt - doch von den Dauerarbeitskämpfen der Achtziger- und Neunzigerjahre sind wir noch immer weit entfernt. Zugegeben, das ist bestenfalls ein schwacher Trost für alle, die morgen auf einem Bahnhof feststecken.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Artikels hieß es, Franz Steinkühler sei Anfang der achtziger Jahre IG-Metallchef gewesen und habe für die 35-Stunden-Woche in Nordrhein-Westfalen gekämpft. Tatsächlich war Steinkühler seinerzeit IG-Metall-Vizechef, und der Streik fand in Baden-Württemberg statt. Wir haben die Passage korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.
mck