Konkurrenz für iPhone Nokia greift Apple mit Software-Offensive an
Im Kampf ums mobile Internet holt Nokia zum Gegenschlag gegen Apple aus: Der Handy-Riese will seine Geräte zu tragbaren Sinneserweiterungen für die reale Welt aufmotzen - und zu Peilsendern, mit denen Nutzer die eigenen Tätigkeiten ortsbezogen in soziale Netzwerke einspeisen können.
Plötzlich schwebt es im Saal, das verbotene Wort, das man bei Nokia gar nicht gern hört, schon gar nicht auf der Nokia World, des jährlichen Showcase, bei dem der finnische Handy-Riese seine Innovationen und Zukunftstechnologien präsentiert. Der Mann, der das Unaussprechliche in den Mund nimmt und damit die Geduld des Gastgebers strapaziert, ist René Obermann, Chef der Deutschen Telekom.
Es gebe da ein mobiles Gerät, "dessen Namen ich hier nicht nennen darf", sagt Obermann in einem Vortrag über den Einfluss des mobilen Internets auf das Leben der Menschen. Das habe die Nutzung des mobilen Internets stark vorangetrieben. Inzwischen ebneten viele schlaue Handys diesen Weg, nicht nur das, ähüm, iPhone.
Gelächter im Saal. Obermann neigt den Kopf gen Boden, kaschiert ein süffisantes Grinsen.
Die Pointe sitzt - weil sie, zumindest momentan, noch stimmt. Der Siegeszug des iPhones hat Nokia, den weltweit größten Handy-Hersteller, ins Mark getroffen. Mitte Juli musste Konzernchef Olli-Pekka Kallasvuo die Prognose für das Jahr 2009 senken. Der Nettogewinn fiel im zweiten Quartal im Jahresvergleich von 1,5 Milliarden auf 380 Millionen Euro. Der Umsatz sank von 13,2 auf 9,9 Milliarden Euro.
Hauptgrund ist ein Strukturwandel im Mobilfunksektor, der von der Weltwirtschaftskrise stark beschleunigt worden ist: Mittel- und Unterklasse-Handys werden weniger und seltener nachgefragt. Die Hersteller müssen daher das Geschäft mit sogenannten Smartphones vorantreiben, mobilen Endgeräten, die oft mit berührungsempfindlichen Bildschirmen ausgestattet sind und den Zugang ins Internet auf benutzerfreundliche Weise ermöglichen.
Ausgerechnet im Smartphone-Segment hat sich Apple - in Deutschland exklusiv bei Obermanns Telekom unter Vertrag - zur Bedrohung für Nokia aufgeschwungen: Laut einer Erhebung der Marktforschungsgruppe Gartner konnte Apple seinen Marktanteil im vierten Quartal 2008 von 5,2 auf 10,7 Prozent verdoppeln. Nokias Anteil purzelte dagegen von 50,9 auf 40,8 Prozent.
Und während Apple über seinen digitalen Software-Laden App Store nach eigenen Angaben schon 1,5 Milliarden Programme für seine internetfähigen Endgeräte verkauft hat, traut sich Kallasvuo in Stuttgart noch nicht einmal, genaue Download-Zahlen für den eigenen Software-Laden Ovi Store zu nennen. Er spricht wolkig von 55 Millionen Nutzern für alle Verkaufsdienste der Finnen - und von "Tausenden Anwendungen", die es im Ovi Store gebe. In Apples Laden gibt es knapp 60.000 Programme.
Nokia plant den Befreiungsschlag
Dennoch gibt sich der Nokia-Chef von diesen Zahlen unbeeindruckt. "Wir sind nicht in der Defensive, wir attackieren", behauptet er in seiner sanften, selbstironischen Art. "Es steht geschrieben: Um einen Markt zu erobern, braucht man einen Masterplan und einen charismatischen Chef - immerhin haben wir ersteres", witzelt Kallasvuo.
Die Strategie, mit der der Nokia-Chef einen der wohl größten Wachstumsmärkte des kommenden Jahrzehnts erobern will, mit der er den Emporkömmling Apple im mobilen Internet ein- und überholen will, tritt auf der Nokia World deutlich hervor: Der Handy-Riese will sich vom Endgerätehersteller stärker zum Software-Dienstleister und Anbieter von Internetinhalten entwickeln.
Die Umbrüche, die dem Konzern bevorstehen, sind ähnlich einschneidend wie in den neunziger Jahren, als Nokia sich vom Hersteller von Gummistiefeln, Autoreifen, Toilettenpapier und Fernsehern zum weltgrößten Produzenten mobiler Endgeräte wandelte. Vermeiden aber lässt sich das nicht. "Veränderung ist nicht länger nur eine Option", sagt Kallasvuo. "Wir bauen ein neues Nokia."
Noch stärker als Apple setzt Nokia dabei auf die Verschmelzung von Endgerät und mobilem Internet. Anstelle eines Universalgeräts wie dem iPhone wollen die Finnen viele höher spezialisierte Geräte entwickeln und so unterschiedliche Zielgruppen genauer ansprechen - gleichzeitig werden die Handys der nächsten Generation Software-getrieben sein. "Wir bauen Handys künftig um die Software herum, anstatt Software für fertige Handys zu entwerfen", sagte Heikki Norta, Nokias Vizestrategiechef, SPIEGEL ONLINE.
Lebenssender für das mobile Netz
Einen Vorgeschmack, was die Software-getriebenen Geräte können werden, ist auf der Nokia World zu besichtigen: Mit dem gebührenden Tamtam präsentiert Anssi Vanjoki, Nokias Multimedia-Leiter und heimlicher Chefstratege, die neueste Smartphone-Variante der Finnen: das N97 mini. Technisch ist das Gerät eher unspektakulär. Es unterscheidet sich in seiner Ausstattung kaum vom großen Bruder, dem N97, ist lediglich etwas leichter, die Festplatte ist mit acht Gigabyte kleiner, der Akku hat eine geringere Laufzeit.
Interessanter ist die Software, die das N97 mini unter der Haube hat. In ihr spiegelt sich Nokias Vision eines mobilen Internets, das Menschen nicht mehr länger nur miteinander, sondern auch mit der sie umgebenden Welt verbindet. Das N97 mini enthält den Dienst "Lifecasting with Ovi", der es Nutzern ermöglicht, in den Startbildschirm ihres Handys den eigenen aktuellen Standort einzugeben, ihn mit Texten und Bildern zu verknüpfen und im sozialen Netzwerk Facebook zu veröffentlichen.
Facebook ist dabei nur der Anfang: Wie ein Entwickler des "Lifecasting"-Systems SPIEGEL ONLINE sagte, dürften bald ähnliche Verknüpfungen zu anderen sozialen Netzen wie dem Mikroblogging-Dienst Twitter und der Foto-Community Flickr folgen.
Und schon jetzt enthält das N97 mini weitere location based services: eine kostenlose weltweite Navigationsfunktion für Fußgänger etwa und Premiuminhalte für Touristen. Nutzer können sich etwa unterwegs orten lassen und umgebungsspezifische Informationen von Lonely Planet, Michelin und Wcities abrufen.
Nokia-Stratege Norta zufolge ist das nur der erste Schritt in Richtung eines ortsbezogenen Internets. "Die Vision ist, dass der Nutzer unterwegs mit Nokia ins Internet geht und abhängig von Ort, Tageszeit und persönlichen Vorlieben relevante Informationen über seine direkte Umgebung angezeigt bekommt", sagt er. Heißt: Man könnte in ein und derselben Straße tagsüber Läden angezeigt bekommen, in denen man gerne einkauft, und abends Kinos und Nachtclubs, die dem eigenen Geschmack entsprechen.
Riesiger Wachstumsmarkt
Wann und inwieweit diese Utopie real wird, sagt Norta nicht. Klar ist dagegen schon jetzt, dass sich die Transformation mobiler Endgeräte zu Lebenssendern gut monetarisieren lässt. Denn verknüpft werden die aktuellen ortsbezogenen Kurznachrichten stets mit dem Nokia-Kartenwerk - kurzfristig ist das Schalten von Anzeigen das denkbarste Business-Modell. Mittel- und langfristig könnten aber weit interessantere Möglichkeiten entstehen.
Aus dem Konzern ist zu hören, man wolle "Links in die Wirklichkeit setzen". Ein denkbares Modell könnte sein, Nutzer an für sie relevante Orte zu navigieren und für die Vermittlung eine Provision zu kassieren. Offiziell allerdings verfolgen die Finnen mit ihrem Lebenssender die typische Web-2.0-Strategie: Sie setzen einen Dienst zunächst ohne konkretes Geschäftsmodell in die Welt und entwickeln ihn nach dem Feedback der Nutzer weiter. Erst wenn sich im Echttest herausstellt, was Nutzer von dem Dienst verlangen, überlegen sie sich, wie man damit Geld verdienen kann.
In einem sind sich die Visionäre des mobilen Web aber schon jetzt einig: Das Unternehmen, das es schafft, die Lücke zwischen der realen und der virtuellen Welt über mobile Endgeräte zu schließen, wird einen neuen, milliardenschweren Markt kreieren.
Sollte Nokia es tatsächlich schaffen, den Lebenssender zu einer solchen Killerapplikation auszubauen, dürften René Obermanns iPhone-Witze bald verebben. Denn wie der Telekom-Chef in seiner Rede auf der Nokia World selbst sagte: "Das mobile Internet wird mächtiger sein als alles andere, was die Handy-Industrie je gesehen hat."