Autismus Gendefekt macht blickscheu
Schau mir in die Augen - und ich sage dir, welche Gene du trägst: Das Erbgut bestimmt die Fähigkeit zum Blickkontakt, wie eine neue Studie zeigt. Kommunikationsstörungen wie Autismus scheinen demnach genetisch veranlagt zu sein.
Cambridge - Wenn Menschen miteinander kommunizieren, verarbeitet das Gehirn vor allem Informationen über Gestik, Mimik, Geruch oder die Augen des Gegenübers. Emotionen spielen eine wichtige Rolle im Sozialverhalten. Jetzt haben Forscher Hinweise darauf gefunden, dass die Fähigkeit zum Blickkontakt genetische Ursachen hat.
Durch Blickkontakt verraten sich beispielsweise Angst oder Freude. Menschen mit autistischen Störungen haben auf Grund ihrer angeborenen unheilbaren Schwächen in der sozialen Kommunikation jedoch Probleme, mit Blickkontakten Gefühle anderer Menschen zu empfangen und zu verstehen. Die Ursachen von Autismus sind bis heute nicht vollständig geklärt.
Wissenschaftler schließen genetische Gründe für die Krankheit nicht aus- die Annahme wird nun von einer neuen Studie bestätigt: In einer Untersuchung mit 30 Teilnehmern haben Forscher der University of Reading herausgefunden, dass das Gen CNR1 die Länge des Blickkontaktes zwischen Menschen entscheidend beeinflusst. Die Untersuchungen von Bhismadev Chakrabarti und seinen Kollegen zeigen somit, dass CNR1 auch für die schwache Verarbeitung von Emotionen bei Autisten verantwortlich sein könnte.
"Wir haben erstmals gezeigt, dass unsere Gene einen Einfluss darauf haben, wie intensiv wir in Gesichter blicken", sagt Chakrabarti. Die Ergebnisse der Studie könnten somit eine genetische Erklärung für Autismus liefern und bei der Therapie der Menschen nützlich sein, wie die Wissenschaftler in der Druckausgabe des Fachmagazins Molecular Autism schreiben.
Prüfende Blicke der Probanden
CNR1, von dem es vier verschiedene Varianten gibt, steuert die Arbeit sogenannter Cannabinoid-Rezeptoren. Diese befinden sich beispielsweise im Kleinhirn oder der Großhirnrinde beziehungsweise in Hirnregionen, die für Motorik, Schmerzempfinden und Lernen zuständig sind.
Die Rezeptoren vermitteln beispielsweise durch Stress ausgeschüttete endogene, also körpereigene Cannabinoide und leiten dann Signale wie Schmerzen oder Appetit über die Nervenzellen weiter. Aber auch exogene Cannabinoide, wie das THC in Cannabispflanzen, werden über die Rezeptoren vermittelt. Sie erzeugen beispielsweise Suchtverhalten.
Für ihre Untersuchungen zeigten Chakrabarti und seine Kollegen 13 Männern und 17 Frauen Gesichter auf einem Bildschirm. Während die Probanden die Gesichter betrachteten, analysierten die Forscher ihre Augenbewegungen. Durch DNA-Tests ermittelten die Wissenschaftler zudem, welche von den vier bekannten Varianten des Gens CNR1 im Erbgut jedes Probanden vorhanden war.
Die Ergebnisse waren verblüffend: Je nach Variante des Gens im Erbgut blickten die Testpersonen unterschiedlich lange in ein fröhliches Gesicht. Die Untersuchung ergab ebenfalls, dass bei den Trägern zweier Genformen die Blickdauer beim Betrachten eines fröhlichen Gesichts länger war als bei den anderen. Im Vergleich dazu hatte die Genvariante auf das Betrachten von Gesichtern, die Abscheu ausdrückten, keinen Einfluss.
Die Ergebnisse könnten nun dazu beitragen, die Ursache der Kontaktstörung von Autisten zu erklären und neue Therapien zu entwickeln. Denn aus Untersuchungen von Hirngewebe verstorbener Patienten ist bekannt, dass bei Autisten das CNR1-Gen weniger aktiv ist als bei anderen Menschen. Sie meiden längere Blickkontakte und können daher unter anderem die Signale, die von einem fröhlichen Gesicht ausgehen, nicht verarbeiten.
nih/dapd