Emotionsstörungen Wenn Männer keine Gefühle haben
2. Teil: Gefühlsblinde unterm Tomografen: Was der Hirnscan verrät
In den vergangenen Jahren hat die Pariser Arbeitsgruppe die Besonderheiten der Emotionsverarbeitung im Gehirn alexithymer Menschen mit der funktionellen Magnetresonanztomografie untersucht. Um genügend Betroffene ausfindig zu machen, mussten über 400 männliche Studenten einen speziellen Fragebogen ausfüllen. Auf der Basis der Ergebnisse wählten die Forscher 16 Probanden aus - 8 Kontrollpersonen sowie 8 Teilnehmer, welche die Kriterien einer Alexithymie erfüllten.
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Die beobachtete Hirnaktivität offenbarte tatsächlich einen deutlichen Unterschied zwischen den beiden Versuchsgruppen: Beim Betrachten der positiv besetzten Bilder arbeitete bei alexithymen Personen eine bestimmte Hirnregion wesentlich intensiver als bei Gesunden: der vordere Gyrus cinguli (cinguläre Cortex) - eine Großhirnwindung, die zum limbischen System gerechnet wird. Umgekehrt blieb dieser Hirnbereich angesichts negativer Fotos bei Alexithymen ungewöhnlich ruhig.
Emotionales Schubladendenken
Der vordere Gyrus cinguli steht sowohl mit den anderen Bestandteilen des limbischen Systems in Verbindung als auch mit eben jenen Arealen im Frontalcortex, welche die Emotionen analysieren. Es scheint tatsächlich so, als würde seine Aktivität bei unseren alexithymen Patienten anders reguliert: Er reagierte auf emotionale Reize entweder zu schwach oder überschießend.
Vorderer Gyrus cinguli: Schlüsselfunktion bei Wahrnehmung von Emotionen
Alle bisherigen Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Gyrus cinguli als Brücke zwischen limbischem System und Frontalcortex dem Bewusstwerden von Emotionen dient. Wird seine Aktivität nicht richtig moduliert, hat das Konsequenzen, und zwar nicht nur für das soziale Miteinander. Psychiater vermuten, dass einige psychosomatische Beschwerden auch von der Unfähigkeit herrühren, die eigenen Emotionen in Worte zu fassen, um sie mental verarbeiten zu können.
Therapieansatz: Gefühle spielen
Außerdem macht eine Alexithymie möglicherweise auch anfälliger für Drogen. Unter Süchtigen finden sich prozentual gesehen mehr alexithyme Personen als in der Gesamtbevölkerung. Einige Drogen wie Kokain rufen intensive Gefühle hervor - vermutlich verstärken sie die Kommunikation zwischen limbischem System und Frontalcortex so extrem, dass selbst alexithyme Menschen emotionale Fülle empfinden.
Wie kann alexithymen Patienten geholfen werden? Klassische Psychotherapien bleiben oft erfolglos, weil sie auf einen verbalen Austausch über Gedanken und Gefühle abzielen. Da der Betroffene seine eigenen affektiven Zustände selbst nicht versteht, fehlt der therapeutischen Beziehung dann in der Regel die emotionale Tiefe. Lange Zeit galt die Alexithymie daher als nicht behandelbar: Die Therapiestunden schienen an den Patienten einfach abzuperlen.
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Oft lohnt sich auch die Zusammenstellung von "gemischten" Gruppen, in denen gesunde Personen ihre Gefühle in typischen Situationen beschreiben. Von ihnen lernen alexithyme Menschen, was sich hinter bestimmten Kombinationen von Körperempfindungen verbirgt. Auch das Verknüpfen von Empfindungen mit Farben oder Landschaften hilft den Betroffenen, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Von Weinliebhabern lernen
Die Erforschung der Alexithymie hat gezeigt, dass ein bewusstes Erleben von Gefühlen im frühen Alter erlernt werden muss. Wie stark die Sprache unser Empfindungsvermögen beeinflusst, mag das Beispiel eines Weinkenners illustrieren: Einem Laien erscheinen die verwendeten Ausdrücke zur Beschreibung eines edlen Tropfens zunächst sinnlos; doch nimmt man sich einmal die Zeit, ein Wort oder ein geistiges Bild mit den verschiedenen Eigenschaften eines Weines zu verbinden, lassen sich allmählich immer mehr Feinheiten entdecken.
Eine vergleichbare Leistung erbringt ein Kind, wenn es lernt, seine eigenen vielfältigen emotionalen Zustände zu erkennen. Diesen Lernprozess muss ein alexithymer Patient in der Therapie nachholen. Ein langwieriges, jedoch lohnendes Projekt. Denn nach und nach erweitert sich das Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten, mit denen er seine Empfindungen mitteilen kann - und damit wächst sein persönlicher Reichtum an bewusst erlebten Gefühlen.
Sylvie Berthoz ist Psychologin und promovierte Neurowissenschaftlerin. Sie arbeitet in der Abteilung für Psychiatrie für Jugendliche und junge Erwachsene im Institut Mutualiste Montsouris in Paris.
- 1. Teil: Wenn Männer keine Gefühle haben
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