Facebook-Experiment "Wer täuscht, braucht Zustimmung"
Für eine Facebook-Studie wurden Hundertausende Mitglieder unfreiwillig zu Versuchskaninchen. Der Psychologe Fredi Lang erklärt, welche Regeln dabei verletzt wurden.
SPIEGEL ONLINE: Herr Lang, Hunderttausende Facebook-Mitglieder wurden unwissentlich zu Studienteilnehmern, ihre Neuigkeitenseite wurde manipuliert. Dürfen Psychologen Menschen einfach so zu Versuchskaninchen machen? Für Mediziner gibt es zahlreiche Auflagen.
Lang: Ganz ohne Täuschung kommt die Forschung in der Psychologie nicht aus. Aber wenn man im Einzelfall täuschen muss, braucht man eine klare Zustimmung. Zwar wird in psychologischen Studien das Innere des Menschen erforscht, niemand bekommt neue Impfstoffe injiziert oder ein noch unbekanntes Medikament verabreicht, aber natürlich gibt es Richtlinien.
- BDP Verband
SPIEGEL ONLINE: Und die wurden in dem Fall Facebook verletzt?
Lang: Ja. Auch wenn in den AGB des Unternehmens darauf hingewiesen wird, dass das Verhalten der Nutzer untersucht und erforscht wird, müssen diese in jedem Fall vorher und nachher informiert werden. Zudem hätten die Wissenschaftler durchaus anders vorgehen können.
SPIEGEL ONLINE: Wie hätten sie es besser gemacht?
Lang: Eine Regel sagt: so wenig Versuchspersonen wie nötig einbinden. Es hätten sicher nicht 300.000 Menschen sein müssen. Eine andere Regel sagt, dass Täuschungen zu vermeiden sind. Die Forscher hätten also auch beobachtend vorgehen können - einzelne Nutzer auswählen, die eher positiv schreiben und andere, die negativer agieren. Und diese dann analysieren. Das wäre aber mehr Arbeit gewesen.
(a) auf gängige Erziehungsmethoden, Curricula oder Unterrichtsmethoden im Bildungsbereich bezieht;
(b) auf anonyme Fragen/Fragebögen, freie Beobachtungen oder Archivmaterial bezieht, dessen Enthüllung die teilnehmenden Personen nicht den Risiken einer straf- oder zivilrechtlichen Haftbarkeit, finanzieller Verluste, beruflicher Nachteile oder Rufschädigungen aussetzt und bei denen die Vertraulichkeit gewährleistet ist;
(c) auf Faktoren bezieht, welche die Arbeits- und Organisationseffizienz in Organisationen betreffen, deren Untersuchung keine beruflichen Nachteile für die teilnehmenden Personen haben können und bei denen die Vertraulichkeit gewährleistet ist, oder (2) wenn die Forschung anderweitig durch Gesetze und Verordnungen erlaubt ist.
(b) Psychologen täuschen potenzielle Teilnehmer und Teilnehmerinnen nicht über solche Aspekte einer Forschungsarbeit, von denen vernünftigerweise angenommen werden kann, dass sie ernsthafte physische und/oder psychische Belastungen erzeugen.
(c) Psychologen klären jede Täuschung innerhalb eines Experiments so früh wie möglich auf, vorzugsweise am Ende der Teilnahme, aber spätestens am Ende der Datenerhebung und erlauben den teilnehmenden Personen das Zurückziehen ihrer Daten.
(b) Wenn wissenschaftliche oder ethische Überlegungen es rechtfertigen, solche Informationen zu verzögern oder zurückzuhalten, ergreifen Psychologen geeignete Maßnahmen, um eventuellen Schaden und Risiken abzuwenden beziehungsweise möglichst gering zu halten.
(c) Wenn Psychologen erfahren, dass Aspekte ihrer Forschung teilnehmenden Personen Schaden zugefügt haben, unternehmen sie geeignete Schritte, um diesen Schaden zu minimieren.
SPIEGEL ONLINE: Die Macher der Studie verteidigen ihr Vorgehen. Sie sagen, sie hätten sich einfach für die emotionale Wirkung von Facebook interessiert.
Lang: Schon klar, dass die das tun. Für Facebook zählt ja jeder Cent. Dennoch wurde die Integrität der Versuchspersonen verletzt. Die Forscher hätten zumindest ankündigen müssen, dass sie einen Test machen. Dabei reicht eine sogenannte Coverstory, "ihr nehmt an einem psychologischen Experiment teil". Da reicht dann eine generelle Erklärung - im aktuellen Beispiel hätten die Forscher sagen können, dass sie untersuchen wollen, wie schnell einzelne Nutzer auf einen Post reagieren.
SPIEGEL ONLINE: Was dann aber auch nicht stimmt?
Lang: Richtig, aber die Testperson weiß, dass etwas passieren soll und kann ablehnen. Und direkt im Anschluss muss sie auch über den tatsächlichen Zweck und Ablauf informiert werden. Diese Studie war ein Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte des Einzelnen. Das muss umgehend aufgeklärt werden.
SPIEGEL ONLINE: Was passiert nun mit dem Ergebnis?
Lang: Eigentlich müssten die Daten zu jedem Ergebnis, bei dem nicht das Einverständnis der Probanden ausdrücklich erteilt wurde, gelöscht werden. Der europäische Meta Code und die deutschen und europäischen Richtlinien zur Ethik sind hier eindeutig. Mit diesem Test haben die Forscher und Facebook das Ansehen psychologischer Studien in der Öffentlichkeit stark beschädigt.