EU-Lebensmittelbehörde "Glyphosat-Gegner diffamieren Wissenschaft"
Die erneute Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat für die Landwirtschaft rief starke Proteste hervor. Jetzt wehrt sich die Wissenschaft gegen die Kritiker.
Der Unkrautvernichter Glyphosat wird weltweit in der Landwirtschaft genutzt, um die Ernteerträge zu erhöhen. Umweltaktivisten fordern, den Stoff zu verbieten, er könnte gesundheitsschädlich sein, glauben sie.
Aus Sicht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) stellen Kritiker des Unkrautvernichters Glyphosat ihre persönlichen Überzeugungen allerdings vor wissenschaftliche Erkenntnisse.
Menschen, die den Einsatz von Glyphosat ablehnten, befänden sich "in einem Konflikt zwischen Fakten und ihren eigenen Werten, aber anstatt ihre Werteinstellungen zu ändern, versuchen sie, die Fakten in Verruf zu bringen", sagte der Efsa-Direktor Bernhard Url im italienischen Parma.
"Bei allem, was wir heute wissen, ist Glyphosat wahrscheinlich nicht krebserregend. Punkt. Das sagen wir auf der Grundlage von fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen", erklärte Url. Auch die Efsa war im Zuge der Auseinandersetzungen in die Kritik geraten, weil die Firma Monsanto offenbar versucht hat, die Risikobewertung der Behörde zu beeinflussen.
Bewertung der Krebsgefahr
Ausgangspunkt des Streits um die Krebsgefahr war eine Untersuchung der Internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation. Sie hatte das Herbizid im März 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" für den Menschen eingestuft. Damit stellte sie sich gegen die Bewertungen einer Vielzahl von Institutionen, die diese Gefahr nicht sehen.
Die unterschiedlichen Einschätzungen kommen vor allem deshalb zustande, weil die Institutionen unterschiedliche Dinge untersuchen: Die Behörden, die zum Schluss kommen, dass Glyphosat nicht krebserregend ist, prüfen die Risiken für die Bevölkerung bei sachgemäßer Anwendung.
Die IARC untersucht dagegen, ob ein Stoff grundsätzlich in der Lage ist, Krebs auszulösen. Sie bewertet nicht, ob ein konkretes Risiko für die Bevölkerung besteht. So stuft die IARC auch den Friseurberuf, rotes Fleisch und heiße Getränke als "wahrscheinlich krebserregend" ein, Wurst, Sonnenstrahlen und Alkohol als "sicher krebserregend".
Stellvertreterdebatte
Der Streit um Glyphosat sei stellvertretend für eine Debatte über Themen wie synthetische Düngemittel, Nachhaltigkeit und große Konzerne geführt worden, sagte Url. Seine Behörde sei froh, die "berechtigte gesellschaftliche Diskussion" anderen überlassen zu können.
"Wir wurden in ein politisches Feld hineingezogen, auf dem wir nicht gewinnen können. Wir sind keine Politiker: Unsere Aufgabe ist es, an Beweisen, Methodik und Daten festzuhalten."
Die Mitgliedstaaten der EU hatten sich Ende November nach monatelangem Streit auf eine weitere Zulassung um fünf Jahre geeinigt. Der Vorgang hatte Streit in der Bundesregierung ausgelöst.
Am Dienstag verlängerte die EU-Kommission die Zulassung offiziell. Ohne den Beschluss wäre die Lizenz am Freitag ausgelaufen. Gleichzeitig versprach die Behörde als Lehre aus der Glyphosat-Debatte, das Verfahren zur Zulassung von Pestiziden transparenter zu machen und etwa Rohdaten aus Studien zu veröffentlichen. Im Frühjahr 2018 werde man ein Gesetz vorschlagen.
- das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)
- die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa)
- die US-amerikanische Umweltbehörde EPA
- die kanadische Bewertungsbehörde Pest Management Regulatory Agency (PMRA)
- die australische Bewertungsbehörde Australian Pesticides and Veterinary Medicines Authority (APVMA)
- die japanische Food Safety Commission
- die neuseeländische Umweltbehörde EPA
- das Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und
- die Europäische Chemikalienagentur (ECHA)
- Glyphosat-Hersteller Monsanto hat offenbar versucht, die Entscheidungsfindung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) zu beeinflussen. Inwiefern das erfolgreich war, ist unklar. Auch wird dem Unternehmen vorgeworfen, Forschern für positive Glyphosat-Berichte Geld gezahlt zu haben. Das Unternehmen bestreitet das.
- Dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) werfen Umweltaktivsten vor, Passagen aus dem Zulassungsantrag von Monsanto kopiert zu haben. In der Einleitung der entsprechenden Kapitel wird allerdings angekündigt, dass im Folgenden Ausschnitte aus dem Antrag wiedergegeben werden und die Behörde, wenn nötig, ihre eigene Einschätzung ergänzt hat.
- An der glyphosatkritischen Bewertung der IARC ("wahrscheinlich krebserregend") war ein Sachverständiger mit Interessenskonflikten beteiligt. Christopher Portier erhielt mindestens 160.000 Dollar von US-Anwälten, die Monsanto im Auftrag potenzieller Glyphosat-Opfer verklagen.
- In einem Kapitel des IARC-Berichts wurde laut der Nachrichtenagentur Reuters zudem im Entwurfsstadium in mehreren Fällen die Einschätzung von Studien von "nicht krebserregend" in neutral oder positiv ("krebserregend") umgeändert. Die IARC bestreitet das.
In Deutschland sind laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) derzeit 37 Mittel mit Glyphosat zugelassen, die unter 105 Handelsnamen vertrieben werden.
Verbote in Deutschland
Die deutsche Bundesregierung diskutiert derweil über nationale Einschränkungen bei der Glyphosat-Anwendung. Eine Möglichkeit wäre laut Experten etwa, dass Landwirte Glyphosat aus Artenschutzgründen nur noch einsetzen dürfen, wenn sie einen Mindestanteil an Flächen aufweisen können, auf denen Ackerwildkräuter wachsen.
Dieser Vorschlag kommt von Umweltbundesamt-Präsidentin Maria Krautzberger: "Insekten und Vögel können so unbeeinflusst von Pflanzenschutzmitteln leben und fressen."
boj/jme/dpa/AFP