Schwerelosigkeit Reisekranke Buntbarsche im Weltall
Warum wird manchem im Auto oder Schiff übel? Eine vierwöchige Weltraumreise von 40 Buntbarschen soll die Reisekrankheit erforschen. Am Freitag schicken deutsche Forscher die Fische mit einer russischen Rakete ins All - und sie sind dabei nicht allein.
Schwindel, Orientierungslosigkeit, Erbrechen: Unter der Reisekrankheit leiden nicht nur Menschen, sondern auch Fische. In der Schwerelosigkeit reagieren sie genauso empfindlich wie manche Passagiere im Bus oder auf dem Schiff. Die Universitäten Erlangen-Nürnberg und Hohenheim schicken deshalb an diesem Freitag Buntbarsche ins All, um mehr über die Hintergründe der Reisekrankheit zu erfahren. Mit an Bord der Sojusrakete sind auch zahlreiche Algen, deren Zellen sich in der Schwerelosigkeit verändern - vielleicht der Schlüssel zum Verständnis dafür, warum Astronauten auf ihren Missionen körperlich so stark abbauen.
Reisekrank werden Menschen wie Fische nach bisherigen Erkenntnissen vor allem dann, wenn die Signale, die das Gleichgewichtszentrum im Gehör sendet, nicht mit den Informationen der Augen übereinstimmen. "Gerade das Innenohr der Fische hat sehr große Ähnlichkeit mit dem menschlichen Ohr", sagt Peter Richter von der Uni Erlangen. Bei vorangegangenen Versuchen habe man festgestellt, dass jene Fische besonders heftig unter der Reisekrankheit litten, bei denen die Gehörsteinchen in den Ohren unterschiedlich groß waren.
In der gewohnten Umgebung rechnet das Gehirn diesen Unterschied weg - im All funktioniert das aber nicht mehr. "Dann versuchen die Fische durch Reflexe, die vermeintliche Fehllage zu korrigieren", erklärt Richter. Das gleiche machen Menschen mit Schwindelgefühlen, wenn sie versuchen, durch Gegenbewegungen einen Sturz zu vermeiden.
Geschlossenes Ökosystem im All
In dem vierwöchigen Weltraum-Experiment wollen die Forscher nun unter anderem herausfinden, wie sich die Schwerelosigkeit auf die Entstehung der Gehörsteine sowie der Knochen und Muskeln der Fische auswirkt. Zu diesem Zweck schicken sie erstmalig ein geschlossenes Ökosystem ins All, bestehend aus 40 Buntbarsch-Larven, der Algenart Euglena gracilis, der Wasserpflanze Hornkraut und Posthornschnecken. Während die Pflanzen den Sauerstoff für die Tiere produzieren, bildet das von den Schnecken und Fischen ausgeschiedene Kohlendioxid die Grundlage für die Photosynthese der Pflanzen. Zugleich dient der Krebsnachwuchs den heranwachsenden Buntbarschen als Nahrung.
Neben den Fischen beobachten die Forscher auch die Algen aufmerksam: "Diese Zellen haben schon Fähigkeiten eines vielzelligen Organismus' - sie können Licht wahrnehmen und darauf reagieren, sie können sich zum Licht hinbewegen, und sie können Schwerkraft und bestimmte chemische Substanzen wahrnehmen. Und das alles ohne Sinnesorgane, denn sie bestehen ja nur aus einer Zelle", so Richter.
Besonders interessant sei, dass schon nach wenigen Sekunden in der Schwerelosigkeit die Gene im Zellkern anders ausgelesen werden und sich die Proteine in den Zellen verändern. "Jetzt geht es darum, die dahinterliegenden Mechanismen zu untersuchen", sagt Richter. Denn ähnliche Vorgänge scheinen auch in den Körpern von Astronauten abzulaufen: "Sobald Menschen längere Zeit im Weltall sind, wird relativ schnell das Immunsystem geschwächt, die Knochen werden - ähnlich der Osteoporose - schwach, und es kommt zu Muskelschwund."
Vollautomatisches Experiment
An diesem Freitag nun soll das Mini-Ökosystem vom kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur abheben. Zuvor mussten die Wissenschaftler die Fisch-Algen-Box und die komplette Technik - im Labor sind alleine drei PCs für das Aufzeichnen der Daten nötig - in einer bierkistengroßen Schachtel unterbringen und vor äußeren Einflüssen wie der Weltraumstrahlung schützen. Eine identische Kopie des Systems bleibt zu Vergleichszwecken auf dem Boden.
Dass das Experiment vollautomatisch statt von Spezialisten auf der Weltraumstation ISS durchgeführt wird, hat einen guten Grund: "Verliert das Aquarium unerwartet Wasser, dann ist dies in der Schwerelosigkeit sehr schwer wieder einzusammeln, und die Elektronik an Bord könnte dadurch massiv beschädigt werden", sagt Michael Lebert, der Projektleiter des Erlanger Teams.
Es ist nicht das einzige Alltagsproblem, mit dem sich die Forscher beschäftigen - sie finden auch das Erbrechen nach übermäßigem Alkoholkonsum interessant. Die Übelkeit der Reisekranken könnte nämlich dem gleichen, uralten Mechanismus folgen.
Die These: Früher erwischten die Menschen beim überlebenswichtigen Ausprobieren unbekannter Nahrungsmittel immer wieder auch giftige Beeren oder Pflanzen. Durch die Vergiftung wurde ihnen schwindelig, die gestörte Auge-Gleichgewichts-Korrelation erzeugte Übelkeit bis hin zum Erbrechen. "Bei allen oral aufgenommenen Giften ist das ein sehr hilfreicher Reflex", erklärt Projektmitarbeiter Ferdinand Haag. Bei den Reisekranken wirke dieser Reflex anscheinend weiter. Nur dass der intersensorische Konflikt nicht durch eine Vergiftung, sondern durch das Schaukeln eines Busses oder Schiffes ausgelöst wird.
Von Elke Richter, dpa