Warnung von Grindr Ägyptische Polizei nutzt Dating-App zur Verfolgung schwuler Männer

Die Betreiber der »Grindr«-App warnen bereits ihre User: In Ägypten nutzen Polizisten offensichtlich Datingprofile, um vor allem schwule Männer zu verfolgen.
Screenshot der vor allem bei queeren Männern beliebten App »Grindr« und der Datingplattform Tinder auf einem Smartphone

Screenshot der vor allem bei queeren Männern beliebten App »Grindr« und der Datingplattform Tinder auf einem Smartphone

Foto: Leon Neal / Getty Images

Es passiert nicht oft, dass Entwickler von Apps aktiv davor warnen, ihr Produkt zu verwenden. Bei Plattformen wie TikTok wird inzwischen eher darüber diskutiert, mit welchen Tricks sie ihre Nutzerinnen und Nutzer zu einer noch längeren Nutzung verleiten. Die Betreiber der Dating-App Grindr, die vor allem bei queeren Männern beliebt ist, haben inzwischen jedoch ganz andere Sorgen. Mittlerweile warnt die App ihre Nutzer in Ägypten vor den möglichen Folgen.

Wer Grindr in den vergangenen Tagen öffnete, erhielt auf Ägyptisch und Englisch einen nicht zu übersehenden Hinweis: »Wir sind darauf aufmerksam gemacht worden, dass die ägyptische Polizei aktiv Verhaftungen von Schwulen, Bi- und Trans-Personen vornimmt. Sie verwenden gefälschte Konten und haben auch Konten von echten Community-Mitgliedern übernommen, die bereits verhaftet wurden und deren Telefone beschlagnahmt sind. Bitte sei online und offline besonders vorsichtig – auch bei Konten, die in der Vergangenheit vertrauenswürdig erschienen.«

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Bereits in den vergangenen Wochen häuften sich Hinweise, dass die Polizei in Ägypten gezielt Onlineplattformen nutzt, um queere Menschen zu verfolgen. Die genaue Zahl der Festnahmen ist bislang nicht bekannt. Grindr hat in Ägypten laut Medienberichten  Hunderttausende Nutzer. Rechtlich ist Homosexualität in Ägypten nicht verboten. Die Behörden nutzen jedoch oft Vorwürfe wie »Unzucht« oder »Verletzung des öffentlichen Anstands«, um Lesben, Schwule, trans Personen und andere Menschen aus der LGBTQIA+-Community zu verfolgen.

Human Rights Watch kritisiert auch Facebook & Co.

Im Februar hatte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) einen Bericht zur Verfolgung von queeren Personen im Nahen Osten und in den Maghreb-Staaten veröffentlicht . Das Dokument listet 45 Fälle auf, in denen Menschen anhand von Aktivitäten auf Plattformen wie Facebook, Instagram und Grindr verfolgt, gefoltert, öffentlich geoutet oder festgenommen worden seien. HRW wirft den Techunternehmen vor, nicht ausreichend für den Schutz ihrer Nutzerinnen und Nutzer zu sorgen. Inhalte in arabischer Sprache würden nicht ausreichend geprüft, so der Bericht.

Eine Person beim Verwenden von Grindr, hier in der libanesischen Hauptstadt Beirut

Eine Person beim Verwenden von Grindr, hier in der libanesischen Hauptstadt Beirut

Foto: Hassan Ammar / AP

Der Bericht zitiert als Beispiel den Fall eines 27-jährigen Ägypters. Er sei nach einer Verabredung bei Grindr von der Polizei festgenommen worden. Die Beamten hätten ihn ohne Essen und Trinken so lange festgehalten und geschlagen, bis er sich zu seinen angeblichen »Ausschweifungen« bekannt habe, so der Mann. Später habe sich herausgestellt, dass sein vermeintlicher Datingpartner in Wahrheit einer der Beamten gewesen sei.

In Ägypten gibt es seit Jahren gezielt Razzien gegen queere Menschen. 2017 verurteilte ein Gericht 14 Männer wegen »abnormalen Verhaltens« zu mehrjährigen Haftstrafen. Bereits in der Vergangenheit nutzten die Sicherheitsbehörden Apps, um Betroffene gezielt aufzuspüren. Ägypten ist seit Langem für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und Grundrechtsverletzungen bekannt.

Ägyptische Beamte führen 2014 mehrere Männer vor, die wegen »Unzucht« verurteilt wurden

Ägyptische Beamte führen 2014 mehrere Männer vor, die wegen »Unzucht« verurteilt wurden

Foto: Hassan Ammar / AP/dpa

Auch die Verfolgung von Minderheiten hat in dem autoritär regierten Land am Nil traurige Tradition. Erste Berichte über den Missbrauch von Grindr durch die ägyptische Polizei und möglicherweise auch den Geheimdienst gab es bereits 2014. Das Auswärtige Amt warnt Reisende seit Jahren  vor möglicher Verfolgung.

International mehr und mehr Angriffe auf LGBTQIA+-Personen

Zuletzt scheint sich die Verfolgung jedoch intensiviert zu haben. Auch in anderen Ländern auf dem afrikanischen Kontinent häuften sich Warnungen vor Repressionen gegen queere Menschen. In Uganda verabschiedete das Parlament unlängst ein drakonisches Gesetz, das sich gezielt gegen LGBTQIA+-Personen richtet. In Kenia kam es zu einem Mord an einem bekannten Aktivisten. Betroffene sprechen längst von einem neuen Klima der Angst.

Einheimische Politiker sehen queere und nicht-traditionelle Lebensentwürfe häufig als Produkte der Kolonialisierung und des Westens. Unterstützt wird der repressive Kurs jedoch auch von schwulenfeindlichen Organisationen und christlichen Bewegungen aus Europa und den USA.

Die Nutzung moderner Apps erleichtert offensichtlich die Verfolgung von Minderheiten. Auch in westlichen Ländern stand Grindr bereits in der Vergangenheit mehrfach in der Kritik, Nutzerdaten nicht ausreichend zu schützen oder sogar weiterzugeben. In Norwegen wurde die App dafür 2021 zu einer Geldstrafe von umgerechnet rund sechs Millionen Euro verurteilt.

Nun sind die Betreiber offensichtlich um Besserung bemüht. Ein Sprecher sagte dem Nachrichtensender »Al Jazeera« , man sei in Ägypten mit lokalen Gruppen in Kontakt, um Nutzer zu schützen. »Wir drängen internationale Organisationen und Regierungen dazu, Gerechtigkeit und Sicherheit für die ägyptische LGBTQ-Community einzufordern.«

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

jpe
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