Humanitäre Katastrophe in Äthiopien Verzweiflung in Tigray

Brauchen Hilfe: Äthiopische Geflüchtete im Sudan
Foto: ASHRAF SHAZLY / AFPLeichen auf den Straßen, Bomben, schwere Gefechte: Eine umfassende humanitäre Krise, so warnt die Uno, spielt sich zurzeit im Norden Äthiopiens ab. Aber niemand darf helfen. Der Luftraum ist gesperrt, die Straßen sind blockiert, sämtliche Kommunikationskanäle gekappt.
Seit dem 4. November kämpft die Zentralregierung Äthiopiens gegen die Führung der Nordprovinz Tigray. Und der Konflikt verschärft sich immer weiter. Premier Abiy Ahmed warf der in Tigray regierenden »Tigray People's Liberation Front« (TPLF) vor, Milizen bewaffnet und einen Angriff auf einen Armeestützpunkt orchestriert zu haben. Die TPLF bestreitet dies.
Seit Tagen führen Uno-Vertreter Gespräche über die Öffnung eines humanitären Korridors. Sie sprechen mit der Regierung in Addis Abeba wie auch mit der Führung der Region Tigray. Bisher ohne Ergebnis. In Uno-Lagerhallen liegen Nahrungsmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter. Aber die Hilfsorganisationen bekommen sie nicht nach Tigray.
Hilfsorganisationen in Panik
Am Montag versicherte zwar der äthiopische Staatsminister für Auswärtige Angelegenheiten: »Wir werden in ein paar Tagen mit einer Lösung aufwarten. Wir werden einen Plan ausarbeiten, wie wir uns um die humanitäre Frage kümmern können, bevor sie zu einer Krise wird.«
Doch den Worten folgten wenig Taten, und die Panik bei den Hilfsorganisationen wird immer größer. Ein hochrangiger Uno-Angestellter beklagte sich über eine »De-facto-Wirtschaftsblockade«. Die Landesdirektorin des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR spricht von einem Desaster.
Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) schätzt, dass mehr als 1,1 Millionen Menschen in Tigray und den zwei angrenzenden Regionen infolge des Konflikts voraussichtlich Hilfe benötigen werden.
Schon bevor im November die Kämpfe zwischen der äthiopischen Regierung und den Streitkräften der Region Tigray ausbrachen, lebten in dem Gebiet nach Angaben der Uno bis zu 200.000 Flüchtlinge. Jetzt, da sich der Konflikt verschärft, sind weitere Zehntausende Menschen auf der Flucht. Das Rote Kreuz berichtet, dass Krankenhäusern die Vorräte ausgehen.
In den Flüchtlingslagern in Tigray geht der Treibstoff zur Neige, der besonders für die Generatoren zur Wasserförderung benötigt wird. »Die Telekommunikation ist unterbrochen, der Straßenzugang ist gesperrt, und insbesondere Treibstoff, Wasser und Bargeld für unsere verbleibenden Mitarbeiter und die Zivilbevölkerung zum Kauf von Nahrungsmitteln werden immer knapper«, sagt Catherine Sozi, Chefin der Uno-Vertretung in Äthiopien.
Zehntausende Menschen sind in den Sudan geflohen
»Wir haben nur noch für ein paar Tage Treibstoff«, warnt auch Ann Encontre vom Uno-Flüchtlingshilfswerk in Äthiopien. »Man kann sich also vorstellen, wie verzweifelt alles ist.«
Mitarbeiter von Hilfsorganisation, die aus Tigray ausreisen konnten, erzählen von chaotischen Zuständen. Von Tausenden Menschen, die versuchen, den Kämpfen zu entkommen. Die örtliche Verwaltung versuche, sie in Schulen und öffentlichen Gebäuden unterzubringen.
Zehntausende Menschen sind unterdessen aus dem Land geflohen. 30.000 Flüchtlinge sind bereits im Sudan angekommen. Jeden Tag werden es rund 4000 mehr. Die internationale Hilfsorganisation Care befürchtet sogar, dass mehr als 200.000 Menschen in den kommenden Wochen dort ankommen könnten und warnt für diesen Fall vor einer der schwersten humanitären Katastrophen.
»Die Menschen an der Grenze sind erschöpft und haben Angst. Über die Hälfte von ihnen sind Frauen und Kinder. Viele der Frauen sind schwanger oder stillende Mütter und deshalb besonderen Gesundheitsrisiken ausgesetzt«, so Tesfaye Hussein, Care-Programmdirektorin im Sudan. »Alle warten darauf, in die von der Regierung vorgesehenen Notunterkünfte gebracht zu werden, doch diese sind schon ausgelastet. Die Situation ist furchtbar.«
Milizen, die Zivilisten mit Macheten töten
Auch beim Uno-Flüchtlingshilfswerk heißt es, die Camps seien auf diesen Ansturm nicht vorbereitet.
Flüchtlinge, die es über die Grenze geschafft haben, berichten von Milizen, die Zivilisten mit Macheten töten. Sie berichten von heftigen Bombardements aus der Luft. Andere berichten von auf den Straßen verstreut liegenden Leichen.
In einem kürzlich geleakten EU-Bericht vom 10. November befürchten die Verfasser einen Krieg, der sich bis an die Küste des Roten Meeres ausbreiten könnte. Sie befürchten im schlimmsten Falle nichts Geringeres als den Zerfall Äthiopiens – und somit Millionen mehr Flüchtlinge.