Nach der Luftbrücke Der Westen sucht den richtigen Umgang mit Afghanistan

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) beim Treffen der EU-Außenminister
Foto: Darko Bandic / dpaNach dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan treten erste Regierungen mit den radikalislamischen Taliban in Kontakt. Die Bundesregierung hat in Aussicht gestellt, dass Deutschland die derzeit gestoppten Entwicklungshilfezahlungen für Afghanistan wieder aufnimmt. Voraussetzung sei allerdings eine Regierung, die nicht nur aus Taliban bestehe, erklärte Außenminister Heiko Maas zu Beginn von Beratungen mit Amtskollegen aus anderen EU-Ländern. Zudem müssten grundlegende Menschen- und Frauenrechte gewahrt werden, und Afghanistan dürfe zu keinem »neuen Hort für Terrorismus« werden.
Davor warnte auch der Terrorismusexperte Peter Neumann. »Für die Dschihadistenszene ist das, was aktuell in Afghanistan passiert, ein großer Schub«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Es wird auch schon propagandistisch ausgeschlachtet. Nach dem Motto: Das ist ein großer Sieg. Wenn die Taliban das können, dann kannst du das auch.« Dies sei ein wichtiger psychologischer Effekt, denn für die Dschihadisten habe es seit Jahren keine großen Erfolge mehr gegeben. »Jetzt geht wieder so eine Art Ruck durch die Szene. Das kann auf potenzielle Einzeltäter durchaus animierend wirken und soll es auch. Deswegen gibt es tatsächlich eine leicht erhöhte Terrorgefahr.«
China sucht Einfluss in der Region
Eine große Gefahr nach dem Machtwechsel sieht Außenminister Maas weiterhin für die Einwohner Afghanistans. »Die meisten Menschen (...) werden aufgrund der geschlossenen Grenzen Afghanistan nicht verlassen können«, sagte Maas. »Deshalb muss man den Menschen in Afghanistan jetzt helfen, und dafür muss man auch mit den Taliban sprechen.«
Der SPD-Politiker forderte die EU-Partner auf, bei dem Thema an einem Strang zu ziehen. »Es gibt in Afghanistan eine neue Realität – ob uns das gefällt oder nicht. Und wir haben jetzt keine Zeit mehr, die Wunden zu lecken«, sagte er. Wenn die Europäische Union eine Rolle spielen wolle, müsse man jetzt schnell handeln. Maas spielte damit darauf an, dass zum Beispiel China Macht und Einfluss in der Region ausbauen könnte.

Schon im Juli empfing der chinesische Außenminister Wang Yi eine Taliban-Delegation, darunter Mitgründer Mullah Abdul Ghani Baradar
Foto:Li Ran / AP
Denn China kommt den radikalislamischen Taliban ihren eigenen Angaben zufolge entgegen. Talibansprecher Suhail Schahin teilte am Freitag auf Twitter mit, Abdul Salam Hanafi, Mitglied des politischen Büros der Taliban in Katars Hauptstadt Doha, habe mit dem chinesischen Vize-Außenminister Wu Jianghao telefoniert. Wu habe in dem Gespräch zugesichert, dass China seine Botschaft in Kabul weiter betreibe und »unsere Beziehungen im Vergleich zur Vergangenheit gestärkt werden«.
Die Volksrepublik wolle außerdem ihre humanitäre Hilfe für Afghanistan, insbesondere im Kampf gegen die Coronapandemie, »fortsetzen und verstärken«, versicherte der Talibansprecher. Aus Peking wurden die Angaben zunächst nicht bestätigt.
Um humanitäre Hilfe zu leisten, hat derweil der Flugdienst der Vereinten Nationen wieder Flüge nach Afghanistan aufgenommen. Uno-Sprecher Stéphane Dujarric sagte, Passagierflugzeuge des humanitären Flugdienstes (Unhas) würden derzeit die pakistanische Hauptstadt Islamabad mit Masar-i-Scharif im Norden und Kandahar im Süden Afghanistans verbinden. Zusätzlich werde eine Luftbrücke für Fracht wie etwa medizinische und andere Hilfsgüter eingerichtet.
Bis zu 20 Ziele will die Uno wieder anfliegen
Dujarric sagte, sobald es die Sicherheits- und die Finanzierungslage erlaubten, wolle der vom Welternährungsprogramm WFP betriebene Flugdienst wieder mehr als 20 Ziele in Afghanistan anfliegen – wie in der Vergangenheit. Mit den Unhas-Verbindungen solle mehr als 160 Hilfsorganisationen ermöglicht werden, ihre lebensrettenden Aktivitäten in den afghanischen Provinzen fortzusetzen.
Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gab an, den Kontakt mit den Taliban suchen zu müssen. »Wir werden mit ihnen reden (...) müssen, um praktische Probleme zu lösen«, räumte er mit Blick auf die neuen Machthaber in Afghanistan ein. Dabei gehe es unter anderem darum, weitere schutzbedürftige Menschen außer Landes zu bringen. Eine echte politische Anerkennung werde es allerdings nur geben können, wenn die Taliban im Einklang mit den Werten der EU handelten, betonte der Spanier. Über die genauen Bedingungen werde man jetzt diskutieren.
Österreich will keine Schutzsuchenden aufnehmen
Kritischer äußerte sich Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). Er erwarte eine »sehr klare gemeinsame Sprache«. Es gebe eindeutig keinen Vertrauensvorschuss, sondern einen »Misstrauensvorschuss« gegenüber den Taliban. Zur Frage der Anerkennung erklärte er: »Es ist ein Unterschied, ob wir auf technischer Ebene Gespräche haben mit ihnen oder ob wir sie als legitime Vertretung des Staates Afghanistan anerkennen.«
Schallenberg sprach sich zudem erneut gegen Aufnahmezusagen der EU für fluchtwillige Afghanen aus. »Ich glaube (...), dass wir vorsichtig sein müssen, was für Signale wir in die Region schicken«, warnte er. Österreich äußerte sich zuletzt ablehnend gegenüber der Aufnahme von afghanischen Geflüchteten – und erntete dafür international Kritik. Vor allem der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn zeigte sich enttäuscht.
Nun kritisierte er, manche Regierungen in der EU glaubten, Europa könne nur bestehen, wenn es so wenig wie möglich Flüchtlinge habe. »In dieser Situation müssen wir bereit sein, den Menschen in Afghanistan zu helfen, die um ihr Leben kämpfen«, sagte Asselborn. Europa müsse selbstverständlich Menschen aufnehmen.
Die baltischen Staaten und Polen forderten unterdessen ein stärkeres Engagement gegen die Versuche des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko, sich mit dem Durchschleusen von Migranten aus Ländern wie dem Irak oder Afghanistan für EU-Sanktionen zu rächen. Man brauche jetzt noch deutlich härtere Strafmaßnahmen, sagte der lettische Außenminister Edgars Rinkevics. Sie sollten sich zum Beispiel gegen Tourismusorganisationen richten.
Die Beratungen der Außenminister zu Afghanistan werden an diesem Freitag fortgesetzt.