
Recherchereise durch Afghanistan Der Anrufer sagte, wir sollten aufhören uns einzumischen


Christoph Reuter auf Recherchereise in Afghanistan: Leider hat niemand Google Bescheid gegeben, dass die Straße über weite Teile weggerissen wurde
Foto: Juan Carlos / DER SPIEGELDiese Geschichte handelt davon, wie sich die Taliban in einem der abgelegensten Winkel Afghanistans gemeinsam mit einem brutalen Landbesitzer Grundstücke unter den Nagel reißen wollten – und wie es war, als Reporter darüber zu berichten .
Die Taliban hatten nicht damit gerechnet, dass einige Tausend Menschen in den schwer zugänglichen Tälern sich wehren würden. Auf Facebook. Hier kommt ein Ex-Dorfschuldirektor ins Spiel: Ghulam Hazrat Mohammadi. Er versammelte Menschen für ein Protestvideo, schlug sich über Schleichwege nach Kabul durch und startete eine Social-Media-Kampagne. Wir Reporter fanden Mohammadi, sprachen andere Geflohene, brachen auf nach Daikundi.
Ghulam Hazrat Mohammadi versammelt die Dörfler für ein Protestvideo, schlägt sich über Schleichwege vorbei an den Taliban-Posten nach Kabul durch und startet eine Social Media-Kampagne. Über lokale Kontakte finden wir Mohammadi, sprechen andere Geflohene, sehen Kopien ihrer Landbesitz-Urkunden, brechen auf nach Daikundi.
Google Maps gibt 7:47 Stunden Fahrtzeit von Kabul bis in die Provinzhauptstadt ein. Das klingt unproblematisch. Nur hat niemand Google Bescheid gegeben, dass die Straße über weite Teile schon vor Jahren von Erdrutschen teils weggerissen, teils begraben wurde. Auch auf der Umgehungsstrecke kollabiert nach anderthalb Stunden das Auto, leider auf dem Verkehrskreisel der Taliban-Hochburg Maidan Schah, leider für zwei Stunden, während seltsame lächelnde Männer uns versichern, dass es durchaus eine gute Idee sei, alle Ungläubigen zu bekämpfen.
Erst hat die Benzinleitung versagt, dann die Benzinpumpe. Stunden später nach zahllosen krachenden Begegnungen mit dem Felsgrund fällt der Auspuff ab. Scheppernd und im Schritttempo landen wir in einem Kaff, tun selbst den Taliban am Posten leid, die sich für den Staub und die Straßen entschuldigen, und überlassen den eigentlich unverwüstlichen Toyota Corolla einem lokalen Schweißer.
Im »Flying Coach«, einem hochgelegten Kleinbus mit der gefühlten Motorleistung eines Schützenpanzers, geht es weiter, am Abend des zweiten Tages erreichen wir die Provinzhauptstadt, werden von einem lokalen Kontaktmann übernommen im nächsten »Flying Coach«, um in der Dunkelheit über kaum sichtbare Pisten zu den Dörfern zu kommen. Zum Sonnenaufgang vor einer spektakulären Gebirgskulisse bricht die Achsfederung. Einer der Männer rennt eine Bergkuppe hoch, schafft es zu telefonieren, Stunden später kommt ein Motorradfahrer, auf dem Gepäckträger eine komplette Blattfeder balancierend.
Die anschließende Geschichte über Willkür und Vertreibung der Bauern trifft bei der Taliban-Führung in Kabul einen wunden Punkt: ihr Bemühen, sich dem Westen als geläuterte Herrscher zu präsentieren. Wider Erwarten erlässt einer der obersten Taliban-Richter Wochen später ein Dekret, dass die Enteignungen rückgängig gemacht werden müssten, bis das Gerichtsverfahren alle Instanzen durchlaufen habe.
Doch dann zeigt sich die neue Unordnung Afghanistans: Die lokale Führung akzeptiert zwar das Diktum, lässt die Geflohenen zurückkehren, aber nur, um sie erneut zu vertreiben. Der Grundbesitzer habe Einspruch eingelegt. Mohammadi ist inzwischen nach Iran geflohen, andere Bauern protestieren weiter. Der Grundbesitzer ruft beim SPIEGEL an: Wir sollten aufhören, uns einzumischen. Er werde jeden Bauern aus dessen Haus vertreiben, »und wenn der und seine Kinder dann auf der Straße erfrieren, haben sie das verdient!«