»Das Gesamtbild ist düster« US-Generalinspekteur rechnet mit amerikanischer Afghanistan-Politik ab

US-Soldat an einer Militärbasis der afghanischen Armee (Archivbild): »Viele Fehler sind auf die vorsätzliche Nichtbeachtung von Informationen zurückzuführen«
Foto: Omar Sobhani/ REUTERSDie US-Regierung hat während ihres Einsatzes in Afghanistan einem Bericht zufolge wenig Kenntnis über das Land gehabt und deswegen zahlreiche Fehlentscheidungen getroffen. »Die Unkenntnis der vorherrschenden sozialen, kulturellen und politischen Gegebenheiten in Afghanistan hat erheblich zu den Fehlern auf strategischer, operativer und taktischer Ebene beigetragen«, hieß es in einem Bericht des US-Generalinspekteurs für den Wiederaufbau in Afghanistan (Sigar).
Die US-Regierung sei zum Beispiel fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Herausforderungen mit Blick auf Staatsführung im Irak und Afghanistan ähnlich seien. »Tatsächlich waren sie es nicht«, heißt es in dem Bericht. Die Autorinnen und Autoren nennen auch ein Beispiel für verfehlte Planung: Die Konstruktion einiger von den USA finanzierter Schulen habe für die Installation des Daches einen Kran vorgesehen. »Aber Kräne konnten in dem bergigen Gelände, das für viele Teile des Landes charakteristisch ist, nicht eingesetzt werden«, heißt es.
Die Fehleinschätzung des sozialen und politischen Umfelds in Afghanistan durch die US-Regierung hätte zur Folge gehabt, dass Initiativen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau des Landes nur unzureichend an den lokalen Kontext angepasst worden seien. »Viele Fehler sind auf die vorsätzliche Nichtbeachtung von Informationen zurückzuführen, die möglicherweise vorhanden waren.« Dem Bericht zufolge sind Milliarden US-Dollar verschwendet worden, weil finanzierte Projekte gescheitert sind.
Die Forderung nach schnellen Fortschritten hätte dazu geführt, dass kurzfristig Projekte umgesetzt worden seien, die gar nicht den Möglichkeiten Afghanistans oder der afghanischen Regierung entsprachen. Darüber hinaus habe die weit verbreitete Korruption zu Verschwendung und Missbrauch von US-Geldern geführt. 20 Jahre später habe sich vieles in Afghanistan verbessert – vieles aber auch nicht. »Wenn es das Ziel war, ein Land wiederaufzubauen und zu hinterlassen, das sich selbst erhalten kann und die nationalen Sicherheitsinteressen der USA kaum bedroht, dann ist das Gesamtbild düster.«
Der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, hat die Arbeit wie auch den Abzug der amerikanischen Truppen aus Afghanistan verteidigt. Die USA hätten 20 Jahre lang ihr Blut, ihren Schweiß, ihre Tränen für das Land gegeben und die Afghanen ausgebildet und ausgerüstet, damit sie in der Lage seien, für sich selbst zu kämpfen, sagte Sullivan. »Irgendwann war es an der Zeit für die Vereinigten Staaten zu sagen, dass das afghanische Volk selbst für sich einstehen muss.« Die US-Regierung sei sich bewusst gewesen, dass der Abzug womöglich darin enden könnte, dass die Taliban wieder an die Macht kommen. Man habe aber das Tempo ihres Vormarsches nicht vorhergesehen.
Sullivan argumentierte, es wäre eine signifikante Aufstockung der US-Truppen nötig gewesen, um den Vormarsch der Taliban zu stoppen. Weitere amerikanische Soldaten hätten ihr Leben geben müssen. Der US-Präsident sei dazu nicht bereit gewesen.