Afghanistan-Verhandlungen in Doha Taliban testen Schwäche der USA

Wieder auf der Flucht: Bewohner der Provinz Helmand bringen sich vor den Angriffen der Taliban in Sicherheit
Foto: - / AFPEs ist die schwerste Offensive der Taliban im Süden Afghanistans seit ihrem Friedensschluss mit den USA im Februar: Islamistische Kämpfer überrannten vergangene Woche in Helmand die Polizeiposten in Vororten der Provinzhauptstadt Lashkar Gah, die dort zur Sicherung der Ein- und Ausgänge der Stadt abgestellt waren.
Sie jagten die Bewohner. Viele Menschen wurden verletzt, eine noch unbekannte Zahl von Bürgern getötet. Auf Traktoren, Motorrädern und Pferden flohen Tausende Bewohner aus dem Stadtzentrum und den umliegenden Bezirken. Noch immer wird gekämpft.
Helmands Gouverneur Yasin Khan berichtete dem Sender "Tolo", der Angriff auf seine Stadt sei möglich gewesen, weil lokale Taliban internationale Terrorgruppen wie al-Qaida, Lashkar-e-Taiba aus Pakistan und Jaish-e-Mohammed ("Mohammed's Armee") Unterschlupf gewährten. Er sagte, die ausländischen Extremisten unterstützten die Taliban in ihrem Kampf.
Im Friedensabkommen mit Washington haben sich die Taliban verpflichtet, ausländische Terroristen künftig aus Afghanistan fernzuhalten. Sie stimmten auch zu, die Gewalt zu reduzieren. Gleichzeitig führen die Islamisten in Doha Friedensverhandlungen mit der Kabuler Regierung.
Wie passt das alles zusammen?
Ganz offensichtlich testen die Taliban, wie die Amerikaner auf die neue Aggression reagieren. Greifen sie ein, wenn die Islamisten neue Gebiete erobern oder nicht? Dabei kalkulieren sie kühl: Gut zwei Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl dürften in Washington Nachrichten von einem scheiternden Abkommen mit den afghanischen Taliban wenig erwünscht sein.
Der US-Kommandeur in Kabul, General Austin S. Miller, hatte zwar ein paar gezielte Luftschläge befohlen. Er mahnte die Taliban, die "offensiven Aktivitäten" in Helmand einzustellen. Aber das war's. Zalmai Khalilzad, US-Präsident Donald Trumps Unterhändler in Doha, der die Kabuler Regierung und die Taliban miteinander versöhnen soll, zeigte sich immerhin "besorgt" über den Überfall auf die Provinzhauptstadt. Er sehe den "Frieden gefährdet".
Eine neue Terror-Allianz?
"Welchen Frieden?", fragen sich die Afghanen. Vergangene Woche verübten die Taliban in 20 der 34 Provinzen des Landes Anschläge. In Badakschan, einer nördlichen Provinz, haben sich nach Angaben des dortigen Gouverneurs, Zakaria Sawda, 400 ausländische Terrorkämpfer verschanzt.
Wenn sich die Informationen über eine neue Allianz zwischen afghanischen Taliban und internationalen Terroristen als richtig erweisen sollten, müsste dies das Ende der Vereinbarung zwischen den USA und den Taliban bedeuten. Aus Washington kam jedoch kein Wort über mögliche Konsequenzen.
Die Taliban hatten noch nie richtig Fuß gefasst in der gebirgigen Region von Badakschan. Die Provinz ist jedoch strategisch bedeutsam, sie schließt direkt an China und Tadschikistan an. "Die ausländischen Terrorkräfte unterstützen die Taliban, um sich Zugang in diese Länder zu verschaffen", erklärt Abdullah Nazari, Mitglied des Provinzrats von Badakschan.
Taliban erschienen nicht zu den Verhandlungen
In Doha wiederum sind die Taliban-Unterhändler bis vergangenen Mittwoch einfach über zehn Tage lang nicht mehr zu Verhandlungen erschienen - trotz Einladung der Gegenseite. Inhaltlich kommen sich die beiden Seiten bisher keinen Millimeter näher. Die Taliban verhielten sich, als hätte die Regierung in Kabul kapituliert und man müsse nur noch die Bedingungen ihrer Unterwerfung organisieren, so ein Teilnehmer zum SPIEGEL.
Solange die Gewalt weiter steigt, sinkt die Hoffnung der Afghanen auf ein Ergebnis in Doha. Die Menschen erleben, dass sich die Amerikaner nicht mehr groß ins Zeug legen, weder für sie, noch um das Abkommen zwischen Washington und den Taliban zu verteidigen. Und die Regierung in Kabul ist nicht stark genug, ihre Bürger zu schützen.
Die Botschaft der Islamisten ist klar, wenn die USA gehen: Am Ende bleiben sie als stärkste Kraft.