Heiner Hoffmann

Streit über Tweet aus dem Außenministerium Warum Afrika genug von europäischer Arroganz hat

Heiner Hoffmann
Ein Kommentar von Heiner Hoffmann, Nairobi (Kenia)
Das Auswärtige Amt wollte witzig sein, doch das ging gründlich in die Hose. Nun zeigt ein Leoparden-Emoji, was in den Beziehungen mit dem afrikanischen Kontinent alles schiefläuft – auch im Kontext des Ukrainekriegs.
Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor begrüßt den russischen Außenminister Sergej Lawrow am Montag in Pretoria

Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor begrüßt den russischen Außenminister Sergej Lawrow am Montag in Pretoria

Foto:

Russian Foreign Ministry / ITAR-TASS / IMAGO

Globale Gesellschaft

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Das Twitter-Team des Auswärtigen Amts hat einen kleinen Scoop gelandet, zumindest was die Reichweite betrifft. Fast zwei Millionen Mal ist dieser Tweet schon angezeigt worden:

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Der russische Außenminister sei diese Woche nach Afrika gereist, nicht um Leoparden zu sehen, sondern um seine Propaganda zu verbreiten, heißt es darin. Der Leopard ist als Tier-Emoji dargestellt, die Social-Media-Verantwortlichen des Ministeriums fanden das wohl witzig.

Doch quer über den afrikanischen Kontinent wundert man sich mal wieder: Welches Bild hat »der Westen« eigentlich von uns? Eine Sprecherin der Afrikanischen Union fragte auf Twitter, ob Annalena Baerbock wohl auch nur nach Afrika reise, um Tiere zu besichtigen. »Ist der afrikanische Kontinent (…) ein Witz für Sie?«

Als ein deutscher Diplomat ihr antwortet, es handle sich möglicherweise um ein Missverständnis – das Leoparden-Emoji meine den Panzer und nicht das afrikanische Tierleben, keilt sie zurück: »Ich habe es schon richtig verstanden. Ein Außenministerium, das widerliche koloniale Klischees bedient, um geopolitische Punkte zu machen.« Autsch.

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Man kann das als Petitesse abtun, als misslungenen Gag, passiert eben auf Social Media. Aber leider ist es so einfach nicht. Denn zum einen zieht der Tweet weite Kreise und richtet damit realen Schaden an. In vielen afrikanischen Ländern reagiert man – zu Recht – sehr verschnupft auf solche Klischees, und ein deutsches Außenministerium sollte das auch wissen. Viel zu oft wird der Kontinent in Europa auf vermeintliche Wildnis, »endlose Weite« und Ethnoklischees von Massai-Kriegern mit Speeren reduziert. Auch deutsche Delegationen, die zu Besuch auf dem Kontinent sind, planen gern zuerst die Safari und dann die öden Pflichtbesuche ringsherum.

Viele afrikanische Länder wollen sich im Ukrainekrieg nicht auf eine Seite schlagen

Doch der kleine Eklat kommt zur Unzeit: Deutschland hätte nämlich gerade gern mehr afrikanische Partner an seiner Seite, wenn es um den Ukrainekrieg geht. Als im März 2022 bei den Vereinten Nationen eine Resolution zur Abstimmung stand, um die Invasion in der Ukraine zu verurteilen, haben nur knapp 51 Prozent der afrikanischen Länder dafür gestimmt. Viele Beobachterinnen und Beobachter aus Deutschland reagierten darauf mit Unverständnis und Verwunderung. Als im Mai vergangenen Jahres Bundeskanzler Olaf Scholz im Senegal zu Besuch war, ärgerte sich die deutsche Delegation: Denn Präsident Macky Sall machte die Sanktionen gegen Russland für den Hunger in Afrika verantwortlich und nicht Wladimir Putin, der die ukrainischen Getreidelieferungen blockierte. Manchmal wirkt es, als betrachte Europa den Kontinent als undankbare Nichte, die sich nicht über die Geschenke vom Onkel freut.

Bundeskanzler Olaf Scholz eröffnet im Mai 2022 gemeinsam mit dem senegalesischen Präsidenten Macky Sall ein Solarkraftwerk im Senegal

Bundeskanzler Olaf Scholz eröffnet im Mai 2022 gemeinsam mit dem senegalesischen Präsidenten Macky Sall ein Solarkraftwerk im Senegal

Foto: Michael Kappeler / dpa

Viele afrikanische Länder wollen sich in diesem Krieg nicht auf eine Seite schlagen. Das ist aus europäischer Sicht oft schwer zu begreifen, scheint die moralische Dimension doch eindeutig. Aber viele Staaten in Afrika können mit einer solchen Sichtweise wenig anfangen. Denn wo war der Aufschrei während des Bürgerkriegs in Äthiopien? Oder, quasi die westliche Ursünde: Warum hat niemand den Völkermord 1994 in Ruanda gestoppt? Mit Moral braucht der Globale Norden also nicht zu kommen, so klar Täter und Opfer in diesem Krieg in der Ukraine auch zuzuordnen sind.

Im Kalten Krieg nahmen die Länder des Globalen Nordens Afrika als politischen Spielball wahr, sowohl auf sowjetischer als auch auf europäischer und amerikanischer Seite. Westliche Geheimdienste halfen beim Sturz gewählter Regierungsoberhäupter, die vermeintlichen Schutzmächte finanzierten Rebellentruppen, destabilisierten viele Länder immer weiter. Das hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Heute ist die Haltung anders: Man will sich seine Partner selbst aussuchen, sich nicht auf eine Seite schlagen, Optionen abwägen. Leider verhindert Korruption allzu oft, dass daraus wirklich ein Aufbruch erwächst.

Russland bedient dagegen mit maßgeschneiderter Propaganda gezielt antiwestliche Ressentiments auf dem Kontinent. Moskau habe sich nie mit dem Blut des Kolonialismus befleckt, schrieb Außenminister Sergej Lawrow im Juli vergangenen Jahres in einem Gastbeitrag für mehrere afrikanische Zeitungen. Viele von Moskau unterjochte Regionen in Eurasien dürften das zwar anders sehen, doch in Afrika verfängt das Narrativ. Es wird durch bezahlte Influencer und Bot-Armeen künstlich aufgeblasen.

In einigen Ländern Afrikas hat Europa nichts mehr zu melden

Russland stellt sich als Partner auf Augenhöhe dar, der den Kontinent endlich ernst nehme. Angesichts der Gräueltaten der Wagner-Söldner in Afrika ist das zwar der blanke Hohn, das wissen auch viele Regierungschefs. Dennoch handhaben sie die Angelegenheit sehr pragmatisch: Nach dem Treffen mit Olaf Scholz flog der senegalesische Präsident Macky Sall nach Moskau, um Wladimir Putin zu besuchen.

Die Wahrheit ist: In einigen Ländern Afrikas hat Europa mittelfristig nichts mehr zu melden. In Mali oder der Zentralafrikanischen Republik zum Beispiel, ehemalige französische Kolonien, die sich von Paris abgewandt und Moskau immer mehr zugewandt haben. Die meisten Länder versuchen eine Balance zu halten zwischen Asien und »dem Westen«, wollen weder auf Rüstungslieferungen aus Moskau, noch auf Straßen aus China oder Solarkraftwerke aus Europa verzichten. Man kann ihnen das angesichts von Jahrhunderten der Sklaverei, der kolonialen Unterdrückung und Interessenpolitik des Kalten Kriegs wahrlich nicht zum Vorwurf machen. Es ist ihr gutes Recht.

Auch die deutsche Regierung sollte deshalb überdenken, welche Botschaften sie in Afrika sendet. Ein verunglückter Tweet über Leoparden und Russland ist eben mehr als ein schlechter Witz, wie man an den empörten Reaktionen von Menschen merkt, die sonst wirklich nicht zur Polemik neigen.

Ein Malier hisst auf seinem Haus in Bamako die russische Flagge (Foto von 2021)

Ein Malier hisst auf seinem Haus in Bamako die russische Flagge (Foto von 2021)

Foto: Nicolas Remene / Le Pictorium / IMAGO

Was Europa stattdessen tun kann: Gute Angebote machen. Europa ist auf Afrika angewiesen. Nicht nur wegen der wertvollen Ressourcen wie Lithium oder Kobalt, ohne die der Klimawandel kaum aufzuhalten ist. Das Bevölkerungswachstum geht auch mit einer wachsenden Zahl potenzieller Konsumentinnen und Konsumenten einher – wie zuvor schon in China –, an denen viele Firmen in Zukunft kaum vorbeikommen werden. In den vergangenen Jahren wurden diese Menschen eher als Heer angehender Migrantinnen und Migranten gesehen, die tunlichst von der Überquerung des Mittelmeers abgehalten werden müssen.

In dieser Woche hat das deutsche Entwicklungsministerium eine neue Afrika-Strategie vorgestellt. Und darin ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel zu erkennen. Es sind nicht nur leere Worthülsen zu lesen von einer »Partnerschaft auf Augenhöhe«, wie sie seit Jahren gepredigt, aber nicht umgesetzt wird. Die Strategie orientiert sich an den Zielen der Afrikanischen Union, sie basiert also auf den Wünschen der afrikanischen Regierungen selbst. Das klingt banal, ist aber ein echter Umbruch. Bisher wurden die unzähligen Entwicklungsprojekte auf dem Kontinent oft an europäischen Schreibtischen erdacht. In der afrikanischen Realität scheiterten sie dann rigoros.

Auch viele andere Punkte überzeugen: Energiepartnerschaften, Finanzierungsmechanismen für innovative Firmen, ein Fokus auf die boomenden Städte des Kontinents. Da ist es durchaus legitim, auch auf gute Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung und Transparenz zu bestehen. Doch vielleicht sollte das Entwicklungsministerium dem Auswärtigen Amt dieses Strategiepapier noch einmal zukommen lassen, zur Sicherheit. Zumindest beim Social-Media-Team scheint es noch nicht angekommen zu sein.

Inzwischen hat das Auswärtige Amt immerhin auf die Kritik reagiert – und bittet in einem weiteren Tweet um Entschuldigung:

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Die Sprecherin der Afrikanischen Union reagierte prompt: »Entschuldigt euch nicht. Seid einfach vorsichtig. Und respektiert uns, wie wir euch respektieren.«

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

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