Folgen der Coronapandemie Der Kampf gegen HIV und Aids stockt

Eine Frau hat eine rote Schleife angeheftet als Zeichen der Solidarität mit an HIV erkrankten Menschen
Foto: Oliver Berg / picture alliance / dpa
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Die Coronapandemie hat in den vergangenen Jahren vieles überlagert – auch den Kampf gegen HIV und Aids. Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, beginnt ab diesem Freitag die Welt-Aids-Konferenz im kanadischen Montreal, das weltweit größte wissenschaftliche Treffen zum Thema.
»Im Rahmen der Coronapandemie ist es international zu dramatischen Reduktionen von HIV-Test- und Beratungseinrichtungen gekommen«, sagt Jürgen Rockstroh, Professor am Universitätsklinikum Bonn, der an der Welt-Aids-Konferenz teilnimmt. »Notwendige Laborkontrollen wurden gestreckt. Engpässe in der Medikamentenversorgung sind vielfach berichtet worden. Zudem haben sich viele Forscher, aber auch Public-Health-Kollegen, auf Covid konzentrieren müssen, sodass für HIV viele Ressourcen verloren gegangen sind.«
Die Zahlen spiegeln das wider: Der Kampf gegen HIV und Aids sei weltweit ins Stocken geraten, hieß es in einem vor Beginn der Konferenz veröffentlichten Bericht des Uno-Programms für den Kampf gegen Aids (UNAIDS). In einigen Regionen, in denen die Zahl der Neuinfektionen zuvor gesunken war, stiegen sie nun wieder. Millionen von Leben seien bedroht.
Weltweit hätten sich im vergangenen Jahr rund 1,5 Millionen Menschen neu mit dem HI-Virus infiziert. Damit sei die Zahl der Neuinfektionen im Vergleich zum Vorjahr zwar immer noch gesunken, allerdings nur noch um 3,6 Prozent – so wenig wie seit 2016 nicht mehr. Unter anderem in Osteuropa, Teilen Asiens, Lateinamerika, dem Nahen Osten und Nordafrika sei die Zahl der Neuinfektionen gestiegen. Auch im Osten und Süden Afrikas sei der Fortschritt ins Stocken geraten. Einen Rückgang der Infektionen habe es beispielsweise in West- und Zentralafrika sowie in der Karibik gegeben.
»Die neuen Daten bestätigen unsere schlimmsten Befürchtungen«, sagt Tom Hart, Direktor der Entwicklungsorganisation ONE, »der Fortschritt von zwei Jahrzehnten wurde in nur zwei Jahren jäh gestoppt. Und wie bei allen Viren gilt: Machen wir keine Fortschritte, verlieren wir den Kampf.«
Neben der Coronapandemie bereiteten unter anderem auch der Krieg in der Ukraine, das vermehrte Auftreten von Affenpocken und die schwierige weltwirtschaftliche Lage Sorgen im Kampf gegen HIV und Aids. Daher sei die Konferenz nun sehr wichtig, sagt der Wissenschaftler Rockstroh. »Es gibt großen Bedarf, sich wieder auszutauschen und über Strategien zur HIV-Elimination in Zeiten von Pandemien und Krieg zu diskutieren.« Denn eigentlich seien alle Werkzeuge, die dafür benötigt würden, HIV zu beenden, vorhanden – unter anderem antiretrovirale Therapien und effiziente Präventionsmaßnahmen in Form von Tabletten oder Spritzen.
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dpa, abe