Russischer Kremlkritiker Giftanschlag fand laut Nawalnys Team vor Abreise aus Tomsk statt

Der Giftanschlag auf Alexej Nawalny wurde nach Darstellung seines Teams bereits im sibirischen Tomsk verübt. Im Hotelzimmer des Kremlkritikers wurde demnach eine Trinkflasche mit Spuren des Gifts sichergestellt.
Alexej Nawalny bei einer Demonstration in Moskau im Februar 2019

Alexej Nawalny bei einer Demonstration in Moskau im Februar 2019

Foto: Andrey Rudakov / Bloomberg / Getty Images

Eine Wasserflasche trägt womöglich zur Aufklärung des Giftanschlags auf den Kremlkritiker Alexej Nawalny bei. Das Team des russischen Oppositionellen schildert in einem Post auf Instagram, es habe in Nawalnys Hotelzimmer in der sibirischen Stadt Tomsk eine Flasche sichergestellt, an der später Spuren des Nervengifts Nowitschok nachgewiesen worden seien. Nawalny war demnach bereits abgereist.

Damit lässt sich der Zeitpunkt der Vergiftung des Politikers eingrenzen: Sie muss noch vor seiner Abreise aus dem Tomsker Hotel erfolgt sein. Das Instagram-Video zeigt die Suche seines Teams nach verdächtigen Gegenständen in einem Hotelzimmer. Wegen der frühen Abreise des Politikers war der Raum in Tomsk offenbar noch nicht gereinigt worden, die im Hotel verbliebenen Mitarbeiter Nawalnys nutzten diese Gelegenheit. Zu dem Zeitpunkt war bereits seit einer Stunde bekannt, dass Nawalnys mutmaßlich vergiftet worden war. Sein Flug nach Moskau war in Omsk zwischengelandet.

"Wenn Sie etwas mitnehmen wollen, dann nur über die Polizei"

In dem Video  sieht man drei Plastik-Wasserflaschen, die in Plastiktüten verpackt werden. Zu hören ist eine Frau, offenbar eine Hotelangestellte, die warnt: "Wenn Sie etwas mitnehmen wollen, dann nur über die Polizei, hat mir der Direktor gerade gesagt." Eine männliche Stimme antwortet: "Dem können wir uns leider nicht fügen."

Die Bundesregierung sieht es nach Untersuchungen in einem Speziallabor der Bundeswehr als zweifelsfrei erwiesen an, dass Nawalny mit einem Kampfstoff aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde. Labors in Frankreich und Schweden bestätigten diesen Befund nach Angaben der Bundesregierung. Auch die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) hat biomedizinische Proben Nawalnys von Experten untersuchen lassen und will nun die deutschen Behörden über die Ergebnisse unterrichten. Für die Untersuchungen durch das technische Sekretariat der OPCW habe ein eigenes Expertenteam unabhängig Proben Nawalnys gesammelt, teilte die Organisation mit.

Der SPIEGEL hatte bereits berichtet , dass bei den Laboranalysen in Deutschland auch eine Flasche untersucht worden sei, an der sich Spuren von Nowitschok fanden. Die Angaben des Nawalny-Teams bestätigen dies nun. Wie genau die Flasche nach Berlin gelangt ist, wird aus dem neuen Instagram-Post nicht deutlich. Nawalnys enger Mitstreiter Georgij Alburow kündigte die Bekanntgabe weiterer Details in einer YouTube-Sendung am Donnerstagabend an.

Nawalny war bei dem Flug von Tomsk nach Moskau am 20. August zusammengebrochen. Die Maschine musste in Omsk zwischenlanden. Nawalny wurde dort im Krankenhaus in ein künstliches Koma versetzt und beatmet. Am 22. August wurde er nach Deutschland ausgeflogen, wo er an der Charité in Berlin behandelt wird. Er ist inzwischen wieder bei Bewusstsein, atmet selbst und hat sich auch schon bei Instagram mit einem Foto gemeldet.

Die Regierung in Moskau hatte zuletzt behauptet, Nawalny sei womöglich erst nach seiner Abreise vergiftet worden. Der Kreml betonte mehrfach, dass russische Ärzte keine Vergiftungssymptome hätten feststellen können. Vorwürfe einer Verwicklung in den Anschlag weist Russland zurück.

Resolution im EU-Parlament: Beziehungen zu Russland überdenken

Das Europaparlament forderte den sofortigen Beginn einer internationalen Untersuchung zu der Giftattacke. Auch die EU solle daran beteiligt sein, hieß es in einer am Donnerstag verabschiedeten Resolution. Der Mordversuch gegen Nawalny wurde scharf verurteilt. Außerdem sei der wiederholte Einsatz chemischer Waffen gegen russische Bürger ein Grund für Besorgnis, hieß es in der Entschließung.

Die Abgeordneten forderten Russland auf, Einschüchterung, Gewalt, Belästigung und Unterdrückung von Oppositionellen ein Ende zu setzen. Politische Morde und Vergiftungen seien in Russland ein systematisches Mittel des Regimes, um die Opposition vorsätzlich anzugreifen.

Die EU müsse angesichts des Falls die Beziehungen zu Russland überdenken, forderte das Europaparlament. Russland müsse in internationalen Foren weiterhin isoliert werden und dem EU-Sanktionsregime für Menschenrechtsverletzungen zügig zugestimmt werden.

mes/esc/dpa/Reuters
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