Verdacht auf Vergiftung Kremlnahe Zeitung veröffentlicht Nawalnys Überwachungsprotokoll

Der Oppositionelle Alexej Nawalny wurde vor seinem Zusammenbruch offenbar eng beschattet. Eine Zeitung führt nun Sushi-Bestellungen, Getränkewahl und Hotelbuchungen auf - dies soll wohl die russischen Behörden entlasten.
Alexej Nawalny bei einer Demonstration im September 2019

Alexej Nawalny bei einer Demonstration im September 2019

Foto: Sergei Bobylev / ITAR-TASS / imago images

Während der Kremlkritiker Alexej Nawalny weiterhin im Koma liegt, tauchen in Russland immer neue Versionen auf, wie es zu seinem Zusammenbruch gekommen sei. Mal wird behauptet, er habe eine Diät gemacht, dann, dass eine Stoffwechselstörung vorliege, sein Blutzucker abgefallen sei und er deshalb das Bewusstsein verloren habe.

Die staatsnahe Moskauer Boulevardzeitung "Moskowskij Komsomolez" berichtete  nun unter Verweis auf nicht näher genannte Sicherheitsbehörden, wie umfassend Nawalny bei seiner Reise ins sibirischen Tomsk überwacht wurde. "Alle Aktivitäten" Nawalys seien unter der Kontrolle der Behörden gewesen, schreibt das Blatt. Dazu wird aufgeführt, wie viele Hotelzimmer Nawalnys Team gebucht habe, wann sie Sushi bestellten, dass sie Wasser und Saft tranken und wo Nawalny wen wann getroffen habe.

"Das Ausmaß der Überwachung überrascht mich überhaupt nicht, wir waren uns dessen bereits bewusst", schrieb seine Sprecherin Kira Jarmysch am Sonntag auf Twitter . "Aber es ist erstaunlich, dass sie nicht gezögert haben, allen davon zu erzählen", so Jarmysch zu dem Bericht. Nawalnys Team geht davon aus, dass der 44-Jährige während der Reise durch Sibirien Opfer eines Giftangriffs wurde.

Durchgestochene Informationen sollen Sicherheitsapparat offenbar entlasten

Der Medienbericht soll nun offenbar als Entlastung des russischen Sicherheitsapparates herhalten. Weil Nawalny während seiner Reise nach Tomsk so detailliert beobachtet worden sei, könne man ausschließen, dass in der Stadt ein möglicher Giftangriff passiert sei, so offenbar die Argumentation.

Sollte Nawalny vergiftet worden sein, müsse dies auf dem Flughafen oder im Flugzeug passiert sein, heißt es in dem Medienbericht. Nawalnys Bewegungen und Kontakte in der Stadt seien "sehr sorgfältig" untersucht worden. Man habe dabei nichts Verdächtiges finden können. Ergebnisse von Proben von Orten, wo Nawalny sich aufgehalten hatte, stünden aber noch aus.

Warum man eine mögliche Vergiftung am Flughafen nicht bemerkt haben will, obwohl Nawalny sonst überall in Tomsk detailliert beschattet wurde, lässt der Bericht allerdings offen. Nawalny hatte kurz nach dem Abflug aus Tomsk nach Moskau am Donnerstag über starke Schmerzen geklagt und verlor noch an Bord das Bewusstsein, die Maschine musste darauf in Omsk notlanden. Seitdem liegt er im Koma.

Nawalny ist einer der schärfsten Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin. Immer wieder gab es Razzien in seinen Büros. Der 44-Jährige wurde auch oft festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt. Dass Nawalny überwacht wird, ist also nicht weiter überraschend. Lediglich das Ausmaß scheint erstaunlich.

Am Samstag wurde Nawalny mit einem Spezialflug nach Berlin gebracht. Der Flug war eine private Aktion der Initiative Cinema for Peace um den Filmproduzenten Jaka Bizilj. Für die Kosten kam der russische Unternehmer und Mäzen Boris Simin auf, wie Nawalnys enger Vertrauter und Mitarbeiter Leonid Wolkow auf Facebook schrieb. Er bedankte sich auch bei der Bundesregierung und bei Kanzlerin Angela Merkel, die eine Behandlung in einem deutschen Krankenhaus angeboten hatte.

Untersuchungsergebnisse aus der Charité kommen frühestens am Montag

"Sein Gesundheitszustand ist sehr besorgniserregend", sagte Bizilj vor der Charité über Nawalny. Es habe zuvor eine sehr klare Botschaft von den Ärzten gegeben, dass Nawalny auf dem Flug nach Moskau gestorben wäre, wenn es die Notfall-Zwischenlandung in Omsk nicht gegeben hätte. 

Wie es aus der Berliner Charité hieß, ist nicht vor Montag mit Ergebnissen der Untersuchung Nawalnys zu rechnen. "Derzeit erfolgt eine umfangreiche medizinische Diagnostik", teilte Deutschlands größte Uniklinik am Samstag mit. Erst nach Abschluss der Untersuchungen und nach Rücksprache mit der Familie wollen sich die behandelnden Ärzte äußern.

Nawalnys Mitarbeiter wollen am Sonntagabend um 18.00 Uhr (MESZ) in ihrem Internetkanal Auskunft geben. "Wir werden alles erzählen, was zurzeit über Alexejs Vergiftung bekannt ist", schrieb Jarmysch auf Twitter. Sie werde aus Moskau berichten und ihr Kollege Leonid Wolkow aus Berlin. Am Nachmittag teilte Wolkow jedoch mit, dass der Stream abgesagt sei und verschoben werde.

heb/hpp/dpa
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