Alexej Nawalny über den Giftanschlag »Es war kein Schmerz, es war etwas Schlimmeres«

Im Oktober sprach Alexej Nawalny mit dem SPIEGEL über sein Nahtoderlebnis, Putins Schuld und Merkels Krankenbesuch.
Ein Interview von Benjamin Bidder und Christian Esch
Foto:

Peter Rigaud / DER SPIEGEL

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Es ist sechs Uhr früh am Mittwoch, als Alexej Nawalny in der Berliner Redaktionsvertretung des SPIEGEL zum Interview erscheint. Das Büro liegt nur wenige Schritte von der Charité entfernt, in der Nawalny einen Monat lang behandelt wurde und zwischen Leben und Tod schwebte.

Erst vergangene Woche konnte der Kremlgegner, der mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden war, aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Vier Mitarbeiter des LKA sichern seinen Besuch. Nawalny, der zwischenzeitlich gar nicht mehr gehen konnte, hat auf dem Weg nach oben die Treppe genommen, nicht den Fahrstuhl.

Alexej Nawalny, 44, ist Russlands prominentester Oppositioneller. Doch seit dem Anschlag, der am 20. August in der sibirischen Stadt Tomsk auf sein Leben verübt wurde, steht er auf der Weltbühne. Angela Merkel setzte sich für seine Ausreise nach Deutschland ein. Weil er mit einem Stoff vergiftet wurde, der praktisch nur aus staatlichen russischen Laboren stammen kann, wird weltweit die Frage nach der persönlichen Verantwortung von Russlands Präsident Wladimir Putin gestellt. Es ist nicht das erste Mal, dass ein russischer Oppositioneller getötet werden sollte – aber das erste Mal, dass die Umstände so stark auf den Kreml deuten. Der dementiert jede Beteiligung.

Das Gespräch mit dem SPIEGEL ist Nawalnys erstes Interview seit dem Anschlag. Er wirkt konzentriert bei dem Treffen, erinnert sich an vieles – und doch sieht man ihm die Folgen seiner Vergiftung an. Narben am Hals zeigen, wo er beatmet wurde. Als er sich Wasser aus einer Flasche in sein Glas gießt, kostet es ihn sichtlich Mühe, er muss beide Hände dazu benutzen. Hilfe lehnt er ab. »Mein Physiotherapeut sagt, ich soll mich anstrengen, alles selbst zu tun«, sagt er.

Nawalny wirkt nervöser als bei früheren Treffen, sein Gesicht schmaler, seine Figur drahtiger. Zwölf Kilogramm hat er abgenommen. Aber seine Stimme ist die alte, ebenso sein Humor, seine Ironie. Neben ihm sitzt Kira Jarmysch, Nawalnys Pressesprecherin.

Sie saß am 20. August neben ihm im Flugzeug, als die Symptome seiner Vergiftung einsetzten. Bevor das Gespräch beginnt, möchte Nawalny etwas vorausschicken.

In Nawalnys Hotelzimmer in Tomsk stellt sein Team Wasserflaschen sicher. Eine zeigt Spuren des Gifts.

In Nawalnys Hotelzimmer in Tomsk stellt sein Team Wasserflaschen sicher. Eine zeigt Spuren des Gifts.

Foto: AFP

Nawalny: Mir ist es wichtig, dass dieses Interview in der deutschen Presse erscheint. Ich bin Deutschland nie eng verbunden gewesen. Ich kenne hier niemanden. Ich kannte keinen einzigen Politiker. Und jetzt hat es sich so ergeben – sehen Sie, meine Stimme zittert schon, so rührselig bin ich geworden –, dass ausgerechnet deutsche Politiker und Angela Merkel Anteil an meinem Schicksal genommen und mein Leben gerettet haben. Die Ärzte der Charité haben mein Leben ein zweites Mal gerettet, und sie haben mir, was noch wichtiger ist, meine Persönlichkeit zurückgegeben. Deshalb will ich als Allererstes sagen: Ich empfinde eine riesige Dankbarkeit allen Deutschen gegenüber. Ich weiß, das klingt jetzt etwas pathetisch, aber Deutschland ist für mich ein besonderes Land geworden. Ich hatte kaum eine Verbindung hierher, ich war überhaupt erst vor drei Jahren das erste Mal in Berlin! Und dann so viel menschliche Anteilnahme, von so vielen Leuten.

SPIEGEL: Das wird unsere Leser freuen. Wie geht es Ihnen heute, Herr Nawalny?

Nawalny: Viel besser als noch vor drei Wochen, und mit jedem Tag wird es besser. Vor Kurzem konnte ich nur zehn Treppenstufen steigen, jetzt schaffe ich es bis in den fünften Stock hinauf. Am wichtigsten ist für mich, dass meine mentalen Fähigkeiten zurückgekommen sind. Na ja, vielleicht stellen wir im Laufe des Interviews auch noch das Gegenteil fest (lacht).

SPIEGEL: Sie haben auf Instagram geschrieben, dass Sie nicht mehr auf einem Bein stehen können.

Nawalny: Das kann ich wieder. Meine neueste Aufgabe ist es, auf einem Bein zu stehen und das andere Bein nach vorn zu strecken, das trainiere ich jeden Tag. Das sind eigentlich Übungen, wie sie irgendwelche Neunzigjährigen im Park machen.

SPIEGEL: Können Sie gut schlafen?

Nawalny: Das ist mein größtes Problem. Früher habe ich über Leute mit Schlafproblemen gelacht, weil ich die selbst nie hatte. Aber dann kam das Koma, die Narkose, die Entwöhnung von den Betäubungsmitteln, dieser lange Schwebezustand, als ich weder schlief noch wach war. Ich kann seither nicht ohne Schlafmittel einschlafen.

Mit einem gecharterten Rettungsflug wird Nawalny aus Omsk nach Berlin transportiert

Mit einem gecharterten Rettungsflug wird Nawalny aus Omsk nach Berlin transportiert

Foto: Kira Yarmysh / dpa

SPIEGEL: Als Sie das Bewusstsein verloren, waren Sie ein russischer Oppositioneller. Als Sie aus dem Koma aufgewacht sind, waren Sie eine Figur der Weltpolitik. Kanzlerin Merkel hat Sie am Krankenbett besucht. Worüber haben Sie geredet?

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