Angst um Lebensgrundlage Regierung lässt Häuser Tausender Familien in Angkor Wat räumen

Kambodschas Regierung will es so: Tausende Anwohner sollen das Weltkulturerbe Angkor Wat »freiwillig« verlassen. Sie sollen mit einem kleinen Stück Land, 250 Dollar, Baumaterial und 50 Kilo Reis entschädigt werden.
Angkor Wat: Mehr als zwei Millionen Touristen kommen jedes Jahr, um die Tempelanlage in Kambodscha zu sehen

Angkor Wat: Mehr als zwei Millionen Touristen kommen jedes Jahr, um die Tempelanlage in Kambodscha zu sehen

Foto: Tang Chhin Sothy / AFP
Globale Gesellschaft

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.

Alle Artikel

Seit gut dreißig Jahren gehört die Tempelanlage Angkor Wat in Kambodscha zum Weltkulturerbe. Nun sorgt sich die Regierung des asiatischen Landes nach eigener Darstellung um die Zukunft des bekannten Wahrzeichens. Wie der britische »Guardian« berichtet , fürchten die Verantwortlichen in der Hauptstadt, dass durch die zahlreichen Anwohner der Unesco-Status des archäologischen Parks gefährdet sein könnte. Lösung des Problems sollen nun Massenumsiedlungen sein.

Gut zehntausend Menschen sind dem »Guardian« zufolge von dem Umsiedlungsprogramm betroffen. Während die Regierung von einer freiwilligen Maßnahme spricht, fühlen sich die Betroffenen vertrieben. Sie fürchten nun um ihre Existenz.

»Ich habe all meine Besitztümer verkauft, um dieses Geschäft zu gründen, aber bald ist es weg«, zitiert der »Guardian« die 33 Jahre alte Houn Chenda. Sie habe ihren Familienschmuck verpfändet und ihr gesamtes Erspartes investiert, um das Geschäft zu eröffnen. Ende des Jahres soll das Gebäude abgerissen werden.

Angkor Wat zählt zu den berühmtesten Sehenswürdigkeiten Kambodschas. Mehr als zwei Millionen Touristen besuchen die Tempelanlage jedes Jahr. In den vergangenen Jahren haben sich zudem immer mehr Kambodschaner in und um den archäologischen Park angesiedelt. Für sie ist der Tourismus oft die einzige Einnahmequelle. Bei der Regierung sorgt die Entwicklung für Unbehagen.

Lebensgrundlage bedroht

Laut »Guardian« hatten die Behörden bereits im vergangenen Sommer damit begonnen, Anwohnern und Ladenbesitzern eine Frist zu setzen, um zu gehen. In einigen Fällen sei das Fristende für 2023 angesetzt worden, in anderen noch früher. Für den Verlust sei den Betroffenen eine Entschädigung zugesagt worden: ein kleines Stück Land, 250 Dollar für den Bau eines neuen Hauses, Material für das Dach und 50 Kilogramm Reis.

Um den Lebensunterhalt dauerhaft zu bestreiten, dürfte das nicht reichen. So berichtet etwa eine Ladenbesitzerin, dass sie noch einen Kredit in Höhe von 20.000 Dollar abzuzahlen habe. Die Regierung bleibt dennoch hart.

Kambodschas Premierminister Hun Sen bezeichnete die Räumungen als »freiwillige Umsiedlungen«, die notwendig seien, um den Unesco-Status zu behalten. »Angkor Wat könnte von der Liste des Weltkulturerbes gestrichen werden, weil es die von der Welterbekommission geforderten Bedingungen verlieren würde«, sagte er im August. Im Oktober warnte der Premier davor, dass diejenigen, die sich weigerten zu gehen, ohne »einen einzigen Cent« vertrieben würden. An der Begründung der Regierung für die Räumungen gibt es jedoch Zweifel.

Widerspruch von der Unesco

Das Welterbekomitee der Unesco hatte zwar in einem Bericht von 2008 Bedenken über die »unkontrollierte« Entwicklung des Parks geäußert. Eine Gefährdung der Welterbestätte wurde jedoch zuletzt 2004 erwähnt, 2014 wurde hingegen eine positive Entwicklung attestiert.

»Die Unesco oder das Welterbekomitee haben nie zur Vertreibung der Bevölkerung in Angkor aufgerufen«, sagt ein Sprecher der Uno-Agentur dem »Guardian« und fügte hinzu, dass Kambodscha dem Büro versichert habe, dass Lebensgrundlagen, nachhaltige Entwicklung und Menschenrechte »geachtet« würden.

Anwohner berichten jedoch, dass sie erheblich unter Druck gesetzt werden. Neue Grundstücke seien ihnen teilweise bereits zugeteilt worden. Diese befinden sich dem »Guardian« zufolge in einem dünn besiedelten Gebiet, in dem es weder Schulen noch Krankenhäuser gebe. Zudem scheint die Zwangsumsiedlung einen Dominoeffekt ausgelöst zu haben. Laut »Guardian« berichten Anwohner in der Ausweichregion bereits, dass sie vertrieben wurden, um Platz zu machen für die Zwangsumgesiedelten aus Angkor Wat.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

asc
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Playlist
Speichern Sie Audioinhalte in Ihrer Playlist, um sie später zu hören oder offline abzuspielen. Zusätzlich können Sie Ihre Playlist über alle Geräte mit der SPIEGEL-App synchronisieren, auf denen Sie mit Ihrem Konto angemeldet sind.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren